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Hat die Kunst eine metaphysische Bedeutung, so kommt das Publikum des Kunstwerks nur soweit in Betracht, als das Kunstwerk zur Geburt des Genius reizt.
Die Kunstperiode ist eine Fortsetzung der mythen- und religionbildenden Periode.
Es ist ein Quell, aus dem Kunst und Religion fließt.
Jetzt ist es gerathen, die Reste des religiösen Lebens zu beseitigen, weil sie matt und unfruchtbar sind und die Hingebung an ein eigentliches Ziel abschwächen. Tod dem Schwachen!
Gerade weil wir den höchsten energischen Idealismus wollen, können wir die matten Religionsvelleitäten nicht brauchen. Sie hindern jetzt, daß ein Mensch ganz und fertig wird und daß sein Bildungs- oder Kunstziel rein herauskommt. So lange noch die höchste Weltbetrachtung von der religiösen Sphäre usurpirt ist, bleiben die größten Bemühungen und Ziele des Einzelnen unter ihrem Werth, mit Erdgeschmack behaftet. Er rettet sich seine Metaphysik: aber er wird ferne davon sein, diese als ein Massenevangelium aufzufassen und zu predigen.
Wer die Menschen ernst machen will, der hat mit den abgeblaßten Religionen nichts mehr zu thun. Er bewahre einmal die Strenge, die sittliche Grobheit der Pflicht: andrerseits seine Neigung, die Erscheinungen des Lebens ernst zu nehmen. Er resignire auf alles, nur nicht auf die Verwirklichung seiner Ideale.