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Die Wortmusik soll zunächst auf die Affekte des Zuhörers wirken, als deklamirtes Wort: die Musik ist auf den Nichtmusiker berechnet, der ihr nur mit Affekten beikommt.
Dieser affektuose Nichtmusiker ist der geträumte Urzuhörer, der die Gesetze diktirt: er will einfache und starke Empfindungen erregt haben und dem Gedanken entfliehn (der ihm die moderne Zeit repräsentirt).
An Stelle der Empfindung verlangt er auch oft nur das Reizende oder Aufregende. Hier liegt immer der Weg offen für die üppige Pracht und Sinnlichkeit der Oper: aus Gedankenflucht.
Der Grundirrthum ist: daß der naive Urmensch gedacht wird wie er in der Leidenschaft zum Musiker und Dichter wird: als ob Leidenschaften Kunstwerke erzeugen könnten. Dies ist der Glaube einer durch den Gedanken beunruhigten Zeit, die ihre Leidenschaften schon zu sehr mit Vorstellungen zersetzt findet: sie träumt sich in ein Reich hinein, wo die Leidenschaften nicht Gedanken, sondern Gesang und Dichtungen erzeugen. Also ein falscher Glaube über den künstlerischen Prozeß ist die Voraussetzung: und zwar der idyllische Glaube, daß eigentlich jeder einfach empfindende Mensch Künstler sei: insofern ist es der Ausdruck des Laienthums in der Kunst. Man nimmt einen ungeheuren Bruch wahr, gegenüber dem Alterthum: Künstler und Publikum als zwei aesthetische Mächte, die sich nicht mehr verstehen. (Man denke an Palestrina.) Die Oper ist der Versuch eine Eintracht herzustellen: durch das Zurückgehn auf eine Urmenschheit, wo der Laie und der Künstler zusammenfallen.