Frühjahr-Sommer 1883 7 [1-100]
7 [22]
Bei meiner Wanderung durch die vielen feineren und gröberen Moralen, fand ich gewisse Züge regelmäßig immer mit einander wiederkehrend und an einander geknüpft: so daß sich mir endlich zwei Grundtypen verriethen: es giebt Herren-Moral und Sklaven-Moral. Ich füge hinzu, daß in Zeiten höherer Cultur Versuche der Vermittlung beider Moralen zum Vorschein kommen, noch öfter ein Durcheinander derselben, ja bisweilen ein hartes Nebeneinander—sogar im selben Menschen, innerhalb Einer Seele.
Erste Frage: wo sind die moralischen Werthschätzungen entstanden? Im Allgemeinen unter Aristokraten, unter einer herrschenden Art, welche sich ihres Unterschieds gegen eine beherrschte bewußt wird.
Im Allgemeinen bedeutet das moralische Werthschätzen, daß sich eine höhere Art Mensch gegen eine niedrigere als höhere bewußt wird.
Die Nöthigung, sie zu bilden, bestand einmal im Verhältniß zu den Unterworfenen, dann im Verhältniß zur Tugend. Im ersten Falle wird an den Eigenschaften das Auszeichnende, Seltene, Edle, Abhebende hervorgehoben, im anderen Falle das Schwere in der Erlangung und Festhaltung des vornehmen Typus, kurz in der Arbeit zur Tugend.
Zweite Frage. Was folgt im Allgemeinen aus der Thatsache, daß die Herrschenden es sind, welche den Begriff “gut” bestimmen?
Es giebt in der That eine Menge von Zügen, die bei den verschiedensten Moralen wiederkehren: der Grund liegt darin, daß die Züge des Mächtigen darin sind.
Der Unmoralische ist im Allgemeinen der Verächtliche (nicht der “Böse”).
Dies geht bis in die letzte Consequenz: selbst der, welcher, gleich mir, die moralischen Werthschätzungen selber unter einander abschätzt, will sich damit als einen höheren Menschen abscheiden von denen, welche unter hergebrachten Werthschätzungen es aushalten zu leben.
Es sind die erhobenen stolzeren Zustände, welche als “gut” bezeichnet werden:
Verachtung des Feigen, Ängstlichen
Verachtung des an enge Nützlichkeit Denkenden, Kleinlichen
Verachtung des Mißtrauischen, der Schwüre haben will
Verachtung des Armen, Bettelnden, Sich-Erniedrigenden, Sklaven- und Hunde-Art, welche sich mißhandeln läßt.
Ehre dagegen dem Gefühl der Fülle und des Überströmens. reich genug, um dem Unglücklichen zu helfen,
Ehre für den, welcher Macht über sich selber hat, zu reden und zu schweigen versteht, zu befehlen und zu gehorchen versteht
Ehre der Weisheit, welche den langen Nutzen ins Auge zu fassen versteht und lange Beschlüsse festhalten kann
Ehre dessen, der nicht gefallen will, weil er sich gefällt: des Stolzen.
| Ehrerbietung gegen die Älteren |
| gegen das Herkommen |
die Ehrerbietung gegen die Frauen ist modern: es fehlt etwas die Achtung vor dem Alter.
•:b<gFh"4 “Abwehr” in der Rache.
Fähigkeit zur langen Dankbarkeit und Rache.
Wiedervergeltung als Wahn der Gerechtigkeit. —
wer gleichgültig gegen eine schwere Kränkung bleibt, ist verächtlich ...... aber: “der ist der beste Mann, der die meisten Beleidigungen zu ertragen weiß” Menander.
aber nicht nachzutragen geneigt! —
vollkommene Verschiedenheit in der Beurtheilung von Handlungen gegen Gleiche und gegen die Wesen niedrigen Ranges.
der Freund
Der Feind gilt nicht als verächtlich: deshalb haben die bösen Handlungen als Feindes-Handlungen eine andere Schätzung.
In sofern Feindschaft noth thut, muß auch der Sinn dazu erhalten bleiben, also in gewissem Sinn gepflegt werden.
(so die Lüge bei den Spartanern)
die Härte, Grausamkeit usw.
Man muß Feinde haben als Abzugsgräben solcher Affekte, wie Neid, Streitsucht—um gut Freund sein zu können.
der Mächtige urtheilt: wer mir schadet, ist an sich schädlich. Er ist der höchste Werthbestimmer.
(Werth der Franzosen: ihr
Takt hinsichtlich der Scham)
Nun ist eine zweite Wendung möglich: die der Schamlosigkeit: die allgemeine Lust an der Bestie Mensch, an der Thatsache der Illusionen
Unter den Beherrschten wird das Böse “schlecht.”
Vorstellung einer großen Rache (Tertullian)