Frühjahr-Sommer 1883 7 [1-100]
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Woraus wird gehandelt? Das ist meine Frage. Das wozu? wohin? ist etwas Zweites. Entweder aus Lust (überströmendem Kraftgefühl, welches sich austhun muß) oder aus Unlust (Hemmung des Machtgefühls, welches sich befreien oder entschädigen muß) Die Frage: wie soll gehandelt werden? wird gestellt: als ob mit dem Handeln erst etwas erreicht werden solle: aber das Nächste ist das Handeln selber als der Erfolg, das Erreichte, abgesehen von den Folgen das Handelns.
Also nicht um des Glücks wegen oder Nutzens wegen oder um Unlust abzuwehren handelt der Mensch: sondern eine gewisse Kraftmenge giebt sich aus, ergreift etwas, woran sie sich auslassen kann. Das, was man “Ziel,” “Zweck” nennt, ist in Wahrheit das Mittel für diesen unwillkürlichen Explosions-Vorgang.
Und Ein und dieselbe Kraftgefühls-Menge kann sich auf tausend Weisen entladen: dies ist “Freiheit des Willens”—das Gefühl, daß im Verhältniß zu der nothwendigen Explosion hundert von Handlungen gleich gut dienen. Das Gefühl einer gewissen Beliebigkeit der Handlung in Betreff dieser Spannungs-Erleichterung.
Meine Lösung: der Grad des Kraftgefühls befruchtet den Geist; der führt viele Ziele vor, wählt sich ein Ziel aus, dessen Folgen für das Gefühl ausspannend sind: also giebt es eine doppelte Entladung: einmal in der Vorwegnahme eines ausspannenden Ziels, sodann im Handeln selber.
“wenn ich Jenes thäte, so würde ich mich verachten, so würde ich unglücklich sein.” Dies wäre also: eine That nicht thun wegen der Folgen für meine Empfindung.
Helvétius meint, wir fragen im Grunde, wenn uns die Möglichkeit einer Handlung aufsteigt, “was werden die Folgen dieser Handlung für meine Empfindung sein?”
Stendhal sur l’amour v. p. 252. [Vgl. Stendhal, De l'amour. Seule édition complète augmentée de préface et de fragments entieérement inédits. Paris: Michel Lévy, 1857: 252.]
Aber das erste Faktum ist, daß ihm diese Möglichkeit auftaucht: der Edle sieht Etwas, wovon eine gemeine Seele keine Idee hat.
Ein überströmendes geladenes Kraftgefühl ist da: das vorgestellte Ziel der Handlung giebt eine Vorwegnahme der Ausspannung und reizt dadurch noch mehr zur Entladung; die folgende Handlung giebt die eigentliche Ausspannung.
So ist es! Das vorgestellte Ziel steigert die Begierde der Entladung auf’s Höchste.
Also: das Glück, “le plaisir” als Ziel des Handelns ist nur ein Steigerungsmittel der Spannung: es darf nicht verwechselt werden mit dem Glück, das in der Action selber liegt. Das finale Glück ist sehr bestimmt; das Glück in der Action würde durch hundert solche bestimmte Glücksbilder zu bezeichnen sein.
Also: das “damit” ist eine Illusion: “ich thue dies, um davon das Glück einzuernten.” So steht es nicht. Der Handelnde vergißt die eigentliche treibende Kraft und sieht nur das “Motiv.”
“Das Glück im erreichten Ziele” ist selber eine Ausgeburt der Kraft-Spannung: ein gleichnißweises Vorwegnehmen und sich-selber-Steigern. Der Eudämonismus ist also eine Folge ungenauer Beobachtung. Man handelt nicht um des Vergnügens willen: das ist aber die Illusion des Handelnden.