Ende 1886 - Frühjahr 1887 7 [1-70]
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Welche Art Menschen mag sich beim Lesen meiner Schriften schlecht befinden? Von denen, wie billig, abgesehn, welche sie überhaupt “nicht verstehen” (wie die gebildeten Schweine und Großstadt-Gänse, oder die Pfarrer, oder die “deutschen Jünglinge,” oder Alles, was Bier trinkt und nach Politik stinkt). Da sind zum Beispiel Litteraten, welche mit dem Geiste Schacher treiben und von ihren Meinungen “leben” wollen—sie haben nämlich entdeckt, daß etwas an einer Meinung (wenigstens an gewissen Meinungen) ist, das Geldes Werth hat,—gegen sie bläst aus meinen Schriften ein beständiger Hauch eisiger Verachtung. Insgleichen beglücke ich schwerlich die Litteratur-Weiberchen, wie sie zu sein pflegen, mit krankhaften Geschlechts-Werkzeugen und Tintenklexen an den Fingern; vielleicht weil ich zu hoch vom Weibe denke, als daß ich es zum Tintenfische herabbringen möchte? Insgleichen verstehe ich, warum alle geschwollenen Agitatoren mir gram sind: denn sie brauchen gerade die großen Worte und den Lärm tugendhafter Principien, welche ich — — — und die, sobald sie einen Stich fühlen, in Gefahr sind zu platzen — — —
An all dieser Gegnerschaft ist mir wenig gelegen: aber es giebt eine andre, deren Wehe mir selbst wehthut:—das sind die aus dem Pöbel Sich-mühsam-Emporarbeitenden, die Menschen des sittlichen Durstes, der kämpfenden Spannung, die nach dem Vornehmen leidenschaftlich Verlangenden. Ihnen muß es scheinen, als ob aus meinen Schriften sie ein ironisches Auge anblicke, das sich nichts von ihrem kleinen Heldenthum entgehen läßt—ein Auge, dem ihr ganzes kleines Elend, auch ihre Ermüdungen und was von Eitelkeit allen Müden Noth thut, ihr Ameisen-Klettern und -Herabpurzeln beständig gegenwärtig ist.
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[Vgl. Sommer 1886—Herbst 1887 5 [45].]
Neulich hat ein Herr Theodor Fritsch aus Leipzig an mich geschrieben. Es giebt gar keine unverschämtere und stupidere Bande in Deutschland als diese Antisemiten. Ich habe ihm brieflich zum Danke einen ordentlichen Fußtritt versetzt. Dies Gesindel wagt es, den Namen Z[arathustra] in den Mund zu nehmen! Ekel! Ekel! Ekel!
[Vgl. Nizza, den 29. März 1887: Brief an Theodor Fritsch:
Sehr geehrter Herr,
hiermit sende ich Ihnen die drei übersandten nummern Ihres Correspondenz-Blattes zurück, für das Verrtrauen dankend, mit dem Sie mir erlaubten, in den Principien-Wirrwarr auf dem Grunde dieser wunderlichen Bewegung einen Blick zu thun. Doch bitte ich darum, mich fürderhin nicht mehr mit diesen Zusendungen zu bedenken: ich fürchte zuletzt für meine Geduld. Glauben Sie mir: dieses abscheuliche Mitredenwollen noioser Dilettanten über den Werth von Menschen und Rassen, diese Unterwerfung unter “Autoritäten,” welche von jedem besonneneren Geiste mit kalter Verachtung abgelehnt werden (z. B. E. Dühring, R. Wagner, Ebrard, Wahrmund, P. de Lagarde—wer von ihnen ist in Fragen der Moral und Historie der unberechtigtste, ungerechteste?), diese beständigen absurden Fälschungen und Zurechtmachungen der vagen Begriffe “germanisch,” “semitisch,” “arisch,” “christlich,” “deutsch”—das Alles könnte mich auf die Dauer ernsthaft erzürnen und aus dem ironischen Wohlwollen herausbringen, mit dem ich bisher den tugendhaften Velleitäten und Pharisäismen der jetzigen Deutschen zugesehen habe.
— Und zuletzt, was glauben Sie, das ich empfinde, wenn der Name Zarathustra von Antisemiten in den Mund genommen wird? ...
Ihr ergebenster
Dr. Fr. Nietzsche]