Ende 1886 - Frühjahr 1887 7 [1-70]
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Methodisch: der Werth der inneren und der äußeren Phänomenologie.
A. Das Bewußtsein spät, kümmerlich entwickelt, zu äußeren Zwecken, den gröbsten Irrthümern ausgesetzt, sogar essentiell etwas Fälschendes, Vergröberndes, Zusammenfassendes
B. dagegen das Phänomen der sinnlichen Welt hundert Male vielfacher, feiner und genauer zu beobachten. Die äußere Phänomenologie giebt uns den bei weitem reichsten Stoff und erlaubt die größere Strenge der Beobachtung; während die inneren Phänomene schlecht zu fassen sind und dem Irrthum verwandter (die inneren Prozesse sind essentiell Irrthum-erzeugend, weil Leben nur möglich ist unter der Führung solcher verengender Perspektive-schaffender Kräfte)
NB. Alle Bewegung als Zeichen eines inneren Geschehens:—also der ungeheuer überwiegende Theil alles inneren Geschehens ist uns nur als Zeichen gegeben. [Vgl. Otto Liebmann, Gedanken und Thatsachen: philosophische Abhandlungen, Aphorismen und Studien. H. 1: Die Arten der Nothwendigkeit.— Die mechanische Naturerklärung.— Idee und Entelechie. Straßburg: Trübner, 1882:85-86.]
Princip des Lebens
Grundirrthümer der bisherigen Biologen: es handelt sich nicht um die Gattung, sondern um stärker auszuwirkende Individuen (die Vielen sind nur Mittel)
das Leben ist nicht Anpassung innerer Bedingungen in äußere, sondern Wille zur Macht, der von innen her immer mehr “Äußeres” sich unterwirft und einverleibt
diese Biologen setzen die moral[ischen] Werthschätzungen fort (der an sich höhere Werth des Altruismus, die Feindschaft gegen die Herrschsucht, gegen den Krieg, gegen die Unnützlichkeit, gegen die Rang- und Ständeordnung).
Gegen die Theorie, daß das einzelne Individuum den Vortheil der Gattung, seiner Nachkommenschaft im Auge hat, auf Unkosten des eigenen Vortheils: das ist nur Schein
die ungeheure Wichtigkeit, mit der das Individuum den geschlechtlichen Instinkt nimmt, ist nicht eine Folge von dessen Wichtigkeit für die Gattung: sondern das Zeugen ist die eigentliche Leistung des Individuums und sein höchstes Interesse folglich, seine höchste Machtäußerung (natürlich nicht vom Bewußtsein aus beurtheilt, sondern von dem Centrum der ganzen Individuation)
Princip des Lebens
Das Bewußtsein, ganz äußerlich beginnend, als Coordination und Bewußtwerden der “Eindrücke”—anfänglich am weitesten entfernt vom biologischen Centrum des Individuums; aber ein Prozeß, der sich vertieft, verinnerlicht, jenem Centrum beständig annähert.
Zur Entstehung der Logik. Der fundamentale Hang, gleichzusetzen, gleichzusehen wird modifizirt, im Zaum gehalten durch Nutzen und Schaden, durch den Erfolg: es bildet sich eine Anpassung aus, ein milderer Grad, in dem er sich befriedigen kann, ohne zugleich das Leben zu verneinen und in Gefahr zu bringen. Dieser Prozeß ist ganz entsprechend jenem äußeren mechanischen (der sein Symbolist), daß das Plasma fortwährend, was es sich aneignet, sich gleich macht und in seine Formen und Reihen einordnet.
Die Individuation, vom Standpunkte der Abstammungstheorie beurtheilt, zeigt das beständige Zerfallen von Eins in Zwei, und das ebenso beständige Vergehen der Individuen auf den Gewinn von wenig Individuen, die die Entwicklung fortsetzen: die übergroße Masse stirbt jedes Mal ab (“der Leib”) Das Grundphänomen: unzählige Individuen geopfert um weniger willen, als deren Ermöglichung.— Man muß sich nicht täuschen lassen: ganz so steht es mit den Völkern und Rassen: sie bilden den “Leib” zur Erzeugung von einzelnen werthvollen Individuen, die den großen Prozeß fortsetzen.
Princip des Lebens
Die Mächte in der Geschichte sind wohl zu erkennen, bei Abstreifung aller moralischen und religiösen Teleologie. Es müssen die Mächte sein, die auch im ganzen Phänomen des organischen Daseins wirken. Die deutlichsten Aussagen im Pflanzenreich.
Die großen Siege über das Thier: das Thier als Sklave,
oder als Feind.
— des Mannes über das Weib: das Weib
neben den grossen Schwankungen z.B. zwischen den Gesunden und Kranken.
| Wohinein die Würde des Menschen gesetzt worden ist: |
| über das Thier im Menschen Herr geworden zu sein über das Weib im Menschen Herr geworden zu sein | ü ú ý þ | griechisches Ideal |
| dagegen die christliche Würde: |
| über den Stolz im Menschen Herr geworden zu sein über den — — — |
Princip des Lebens
— die größere Complicirtheit, die scharfe Abscheidung, das Nebeneinander der ausgebildeten Organe und Funktionen, mit Verschwinden der Mittelglieder—wenn das Vollkommenheit ist, so ergiebt sich ein Wille zur Macht im organischen Prozeß, vermöge dessen herrschaftliche gestaltende befehlende Kräfte immer das Gebiet ihrer Macht mehren und innerhalb desselben immer wieder vereinfachen: der Imperativ wachsend.
— nützlich in Bezug auf die Beschleunigung des tempos der Entwicklung ist ein anderes “Nützlich” als das in Bezug auf möglichste Feststellung und Dauerhaftigkeit des Entwickelten.
der Geist ist nur ein Mittel und Werkzeug im Dienste des höheren Lebens, der Erhöhung des Lebens: und was das Gute anbetrifft, so wie es Plato (und nach ihm das Christenthum) verstand, so scheint es mir sogar ein lebensgefährliches, lebenverleumdendes, lebenverneinendes Princip.