Herbst 1887 9 [1-100]
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(4) Kant: macht den erkenntnißtheoretischen Scepticismus der Engländer möglich für Deutsche
1) indem er, die moralischen und religiösen Bedürfnisse der Deutschen für denselben interessirt (: so wie aus gleichen Gründen die neueren Akademiker die Scepsis benutzten als Vorbereitung für den Platonismus v. Augustin; so wie Pascal sogar die moralistische Scepsis benutzte, um das Bedürfniß nach Glauben zu excitiren (“zu rechtfertigen”)
2) indem er ihn scholastisch verschnörkelte und verkräuselte und dadurch dem wissenschaftlichen Form-Geschmack der Deutschen annehmbar machte (denn Locke und Hume an sich waren zu hell, zu klar d.h. nach deutschen Werthinstinkten geurtheilt “zu oberflächlich”—)
Kant: ein geringer Psycholog und Menschenkenner; grob fehlgreifend in Hinsicht auf große historische Werthe (franz. Revolut.); Moral-Fanatiker à la Rousseau mit unterirdischer Christlichkeit der Werthe; Dogmatiker durch und durch, aber mit einem schwerfälligen Überdruß an diesem Hang, bis zum Wunsche, [ihn] zu tyrannisiren aber auch in der Scepsis sofort müde; noch von keinem Hauche kosmopolitischen Geschmacks und antiker Schönheit angeweht ... ein Verzögerer und Vermittler, nichts Originelles
(—so wie Leibniz zwischen Mechanik und Spiritualism
wie Goethe zwischen dem Geschmack des 18. Jahrhunderts und dem des “historischen Sinns” (—der wesentlich ein Sinn des Exotism ist)
wie die deutsche Musik zwischen französischer und ital[ienischer] Musik
wie Karl der Große zwischen imperium Romanum und Nationalism.
vermittelte, überbrückte,—Verzögerer par excellence.