Mai-Juli 1885 35 [1-84]
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Eine Moral war bisher zu allererst der Ausdruck eines conservativen Willens zur Züchtung einer gleichen Art, mit dem Imperativ: “Es soll allem Variiren vorgebeugt werden; es soll der Genuß an der Art allein übrig bleiben.” Hier werden eine Anzahl von Eigenschaften lange festgehalten und großgezüchtet, und andere geopfert; alle solche Moralen sind hart (in der Erziehung, in der Wahl des Weibes, überhaupt gegen die Rechte der Jugend usw.) Menschen mit wenigen, aber sehr starken und immer gleichen Zügen sind das Resultat. Diese Züge stehen in Beziehung zu den Grundlagen, auf denen solche Gemeinwesen sich durchsetzen und gegen ihre Feinde behaupten können.
Auf Ein Mal reißt das Band und der Zwang einer solchen Zucht (—es giebt zeitweilig keine Feinde mehr—): das Individuum hat keine solche Schranke mehr, es schießt wild auf, ein ungeheures Zugrundegehn steht neben einem herrlichen, vielfachen, urwaldhaften Emporwachsen. Es entsteht für die neuen Menschen, in welche jetzt das Verschiedenste vererbt wird, eine Nöthigung, sich selber eine individuelle Gesetzgebung zu machen, angemessen für ihre absonderlichen Bedingungen und Gefahren. Es erscheinen die Moral-philosophen, welche gewöhnlich irgend einen häufigeren Typus darstellen und mit ihrer disciplina einer bestimmten Art von Mensch Nutzen schaffen.