November 1887 - März 1888 11 [201-300]
11 [300]
“Objektivität” am Philosophen: moral[ischer] Indifferentism gegen sich, Blindheit gegen die guten und schlimmen Folgen: Unbedenklichkeit im Gebrauch gefährlicher Mittel; Perversität und Vielheit des Charakters als Vorzug errathen und ausgenützt —
Meine tiefe Gleichgültigkeit gegen mich: ich will keinen Vortheil aus meinen Erkenntnissen und weiche auch den Nachtheilen nicht aus, die sie mit sich bringen—hier ist eingerechnet das, was man Verderbniß des Charakters nennen könnte; diese Perspektive liegt außerhalb: ich handhabe meinen Charakter, aber denke weder daran, ihn zu verstehen, noch ihn zu verändern—der persönliche calcul der Tugend ist mir nicht einen Augenblick in den Kopf gekommen. Es scheint mir, daß man sich die Thore der Erkenntniß zumacht, sobald man sich für seinen persönlichen Fall interessirt—oder gar für das “Heil” seiner Seele! ... Man muß seine Moralität nicht zu wichtig nehmen und sich ein bescheidenes Anrecht auf deren Gegentheil nicht nehmen lassen ...
Eine Art Erbreichthum an Moralität wird hier vielleicht vorausgesetzt: man wittert, daß man viel davon verschwenden und zum Fenster hinauswerfen kann, ohne dadurch sonderlich zu verarmen. Niemals sich versucht fühlen, “schöne Seelen” zu bewundern. Sich ihnen immer überlegen wissen. Den Tugend-Ungeheuern mit einem innerlichen Spott begegnen; déniaiser la vertu—geheimes Vergnügen.
Sich um sich selber rollen; kein Wunsch “besser” oder überhaupt nur “anders” zu werden; zu interessirt, um nicht Fangarme und Netze jeder Moralität nach den Dingen auszuwerfen —