Sommer-Herbst 1873 29 [1-100]
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Das Historische in der Erziehung. Der junge Mensch wird durch alle Jahrtausende gepeitscht, das wurde der Grieche und Römer nicht. Dazu politische Geschichte für Jünglinge! Die nichts von einem Kriege, nichts von einer Staatsaktion, von Handelspolitik, Machtfragen usw. verstehen können! So geht der moderne Mensch durch Galerien, so hört er Concerte! Das klingt anders als jenes, fühlt er, und das nennt er dann “historisches Urtheil.”— Die Masse ist so gross, dass Abstumpfung die Folge sein muss. Das Schreckliche und Barbarische dringt hinzu, im Übermaass, und wo ein feineres Bewusstsein da ist, muss das Gefühl eins sein: Ekel. Dazu wird der junge Mensch seiner Heimat entfremdet und lernt an allen Sitten und Begriffen zweifeln. Es war in jeder Zeit anders: “es kommt nicht darauf an, wie du bist.” Je nach dem, wird jetzt der Mensch sich zum Schlimmen oder Guten (d. h. Grossen) lösen: “So geht frei, aber gefährlich, ohne Gängelband.” Glücklicher Weise ist der Sinn der Jugend meist so stumpf, dass gar nichts wesentlich herauskommt, ausser einer unklaren Betäubung; es fehlt die starke Phantasie und dazu sind die einströmenden Massen zu gewaltig, es wird alles überfluthet.
Ein solches Maass von Historie ist für Niemanden nöthig, wie die Alten zeigen, ja im hohen Grade gefährlich, wie die Neueren zeigen.
Nun der historische Student! Ein ganz isolirtes Capitelchen der Vergangenheit hat er erforscht: jetzt ist er Diener der Wissenschaft, der Wahrheit, jetzt ist es vorbei mit aller Bescheidenheit, er ist fertig! Der gelehrte Dünkel hindert die höhere Erziehung. Ich betrachte junge Doktoren der Geschichte als Menschen, welche in der Bildung nicht bis drei zählen können und meistens auch nie zählen werden: denn sie sind bereits “produktiv”! Herr Je!