Winter 1884-85 31 [1-70]
31 [31]
Bei abgehellter Luft, wenn schon des Thaus Tröstung zur Erde niederquillt, unsichtbar, auch ungehört —
— denn zartes Schuhwerk trägt der Tröster Thau,
gedenkst du da, gedenkst du, heißes Herz, wie einst du durstetest, nach himmlischen Thränen und Thaugeträufel versengt und müde durstetest?
— dieweil auf gelben Gras-Pfaden boshaft abendliche Sonnenblicke durch schwarze Bäume um dich liefen, blendende Sonnenblitze, schadenfrohe.
Der Wahrheit Freier du?—so höhnten sie—Nein! Nur ein Zauberer! Ein Thier, ein listiges raubendes, schleichendes, das lügen muß,
das wissentlich willentlich lügen muß, nach Beute lüstern, bunt verlarvt, sich selber Larve, sich selbst zur Beute —
Das—der Wahrheit Freier? Nein! Nur Narr! Nur Dichter! Buntes redend, aus Narren-Larven bunt herausschreiend, herumsteigend auf lügnerischen Regenbogen-Dunst-brücken —
nicht still gleich denen, die du sahst, starr, glatt, kalt, zum Bilde worden, zur Gottes-Säule, aufgestellt vor Tempeln, eines Gottes Thürwart —
nein, feindselig solchen Wahrheits-Standbildern, voll Katzen-Muthwillens, der durch jedes Fenster springt in jeden Zufall, in jeder Wildniß heimischer als vor Tempeln,
jedem Urwalde sehnlicher zuschnüffelnd, daß du drin mit lüsternen Lefzen liefest, gleich buntgefleckten Raubthieren sündlich-gesund und schön, selig-höhnisch und selig-blutgierig.
Oder dem Adler gleich, der lange starr in Abgründe blickt, in seine Abgründe, die sich hinab in immer tiefere Tiefen ringeln,
dann, plötzlich, geraden Zugs, gezückten Flugs, hinab auf Lämmer stoßen, jach hinab, heißhungrig, gram allen Lammsseelen und was nur blickt mit schafmäßigem krauswolligem Lämmer-Wohlwollen:
— also adlerhaft, pantherhaft sind des Zauberers Sehnsüchte, sind deine Sehnsüchte unter tausend Larven, du Narr! du Dichter!
Der du den Menschen schautest so Gott als Schaf: den Gott zerreißend im Menschen und das Schaf im Menschen zerreißend lachen —
Das, Das ist deine Seligkeit! Eines Panthers und Adlers Seligkeit! Eines Zauberers und Narren Seligkeit! — —
Bei abgehellter Luft, wenn schon des Monds Sichel grün zwischen Purpurröthen und neidisch hinschleicht,
— dem Tage feind, mit jedem Schritte heimlich an Rosen-Hängematten hinsichelnd, bis sie sinken, nacht-abwärts blaß hin-absinken:—
so sank ich selber einstmals aus meinem Wahrheits-Wahnsinn, aus meinen Tages-Sehnsüchten, des Tages müde, krank vom Lichte—sank abwärts, abendwärts, schattenwärts,
von Einer Wahrheit verbrannt und durstig:—gedenkst du noch, gedenkst du, heißes Herz, wie da du durstetest? —
daß ich verbannt sei von aller Wahrheit! Nur Narr! Nur Dichter! — —