Winter 1884-85 31 [1-70]
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Als aber Zarathustra seine Gäste dergestalt wieder fröhlich fand und durcheinander redend, verließ er sie und trat leisen Schrittes hinaus vor seine Höhle. “Sie sind glücklich, ich habe sie geheilt, sprach er zu seinem Herzen: wie gut will dieser Tag enden, der so schlimm begann! Da kommt schon der Abend über das Meer, heranreitend wiegt er sich, der Sehnsüchtige, in seinen purpurnen Sätteln. Der Himmel blickt klar dazu, die Welt liegt tief: oh all ihr Wunderlichen, die ihr zu mir kamt, ihr thatet Recht damit: es lohnt sich schon, bei mir zu leben!” —
Also sprach Zarathustra zu seinem Herzen und wurde immer stiller: inzwischen aber war Einer nach dem Andern von den Gästen Zarathustra’s aus der Höhle hinausgetreten; und das, was sie hier draußen sahen, machte endlich Jeden von ihnen stille. So standen sie bei einander, sich stumm die Hände reichend und hinausblickend: da aber kam aus der Tiefe heimlich der Klang jener alten schweren Brummglocke, jener Mitternachts-Glocke Zarathustra’s, deren Schläge er gerne abzählte und mit Reimen absang, und auch dies Mal kam sie schwer beladen mit Lust und Wehe:—da schauerte ihnen Allen das Herz.
Zarathustra aber, welcher Alles wohl errieth, sprach mit Bosheit sowohl als mit Liebe, ohne sie anzusehn, vielmehr wie Einer, der zu sich allein redet, wenig laut, aber deutlich genug: “Oh seht mir doch diese Verzweifelnden! Oh seht mir doch diese Verzweifelnden!”
— Sobald aber seine Gäste dies Wort hörten, wurden sie sich mit Einem Male ihrer Verwandlung und Genesung bewußt: da lachten sie über sich selber und Alle sprangen auf Zarathustra zu, dankend, verehrend und liebend oder ihm die Hände küssend, so wie es der Art eines Jeden zu eigen war: also daß auch Einige weinten. Der Wahrsager aber tanzte vor Vergnügen; und wenn er auch, wie Manche meinen, damals voll süßen Weins war, so war er sicherlich noch voller des süßen Lebens und hatte aller Lebens-Müdigkeit abgesagt. Zarathustra gab Acht darauf, wie der Wahrsager tanzte und zeigte mit dem Finger darnach: dann aber entriß er sich mit Einem Male dem Gedränge der Dankenden und Liebenden und nahm seine Zuflucht zu einer schroffen Klippe, an der er einige Schritte emporkletterte, indem er sich im Steigen einige Rosen und Rosenranken abriß. Von dieser Höhe her und, wie eben gesagt, mit Rosen in den Händen, nahm er an jenem Abende zum letzten Male das Wort: hinabschauend auf diese Schaar von Verzweifelten, welche nicht mehr zweifelten, von Ertrinkenden, welche auf gutem festem Lande standen, lachte er aus ganzem Herzen, wand die Rosen zum Kranze und sprach die Rede, welche man heißt:
Die Rosen-Rede.
Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: ich selber setze mir diese Krone auf, ich selber sprach heilig mein Gelächter. Keinen Anderen fand ich heute stark genug dazu.
Wie gut doch, daß ihr zu meiner Höhe kamt, Dies zu schaun! Wie danke ich’s eurer Sorge und Sehnsucht, welche Berge stieg und am rechten Orte anfragte: “Lebt denn Zarathustra noch?”
Einem guten Frager ist halb schon geantwortet. Und wahrlich eine ganze gute Antwort ist das, was nur hier ihr mit Augen seht: Zarathustra lebt noch und mehr als je:
— Zarathustra der Tänzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Flügeln winkt, ein Flugbereiter, allen Vögeln zuwinkend, bereit und fertig, ein göttlich Leichtfertiger—ich selber setzte mir diese Krone auf!
— Zarathustra der Wahrsager, Zarathustra der Wahr-Schweiger, kein Ungeduldiger, kein Unbedingter, einer der Sprünge und Seitensprünge liebt—ich selber setzte mir diese Krone auf!
Schüttelt mich zusammen mit allen Erden-Thränen und allem Menschen-Jammer: immer werde ich wieder obenauf sein wie Oel auf Wasser.
Und bin ich der Erde einmal gram: des Himmels Sterne reißt da meine Bosheit noch herab zur Erde—das ist so die Art aller Zarathustra-Rache.
Und wenn es auf Erden auch Moor und Trübsal giebt und ganze Meere schlimmen Schlammes: wer leichte Füße hat, läuft über Schlamm noch dahin—schnell wie über gefegtem Eise.
Und wenn ich Feinde brauche und selber oft mein schlimmster Feind bin: Feinde haben wenig bei mir gut zu machen, ich lache zu schnell wieder nach jedem Unwetter
Und ob ich schon in vieler Wüste war und Wüsten-Wildniß: zum Wüsten-Heiligen ward ich nicht, noch stehe ich nicht da starr, stumpf, steinern, eine Säule: vielmehr—ich schreite.
Der Schritt verräth, ob Einer schon auf seiner Bahn schreitet. So seht mich gehen! Wer aber seinem Ziele nahe kommt, der—tanzt!
Krumm kommen alle guten Dinge ihrem Ziele nahe, gleich Katzen machen sie da Buckel, sie schnurren innewendig vor ihrem nahen Glücke: alle guten Dinge lachen!
Welches war hier auf Erden bisher die größte Sünde? Das war das Wort dessen, der sprach: “Wehe denen, die hier lachen!”
Fand er zum Lachen auf der Erde selber keine Gründe? So suchte er nur zu schlecht: ein Kind findet hier noch Gründe. Oh daß er sich doch selber—gefunden hätte!
Der—liebte nicht genug, sonst hätte er auch uns noch geliebt, die Lachenden. Aber er haßte uns und höhnte uns nur; Heulen und Zähneklappern verhieß er uns, den Lachenden!
Wo man ihn nicht liebte, diesen Unbedingten, da wollte er gleich sieden und braten. Er selber liebte nicht genug: sonst hätte er weniger begehrt, daß man—ihn liebe.
Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Das ist eine arme kranke Art, eine Pöbel-Art. Sie sehen schlimm diesem Leben zu, sie haben schwere Füße und Herzen.
Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! aber vergeßt mir auch die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tänzer, und besser noch: ihr steht auch auf eurem Kopfe!
Es giebt auch im Glücke schweres Gethier, es giebt Plumpfüßler von Anbeginn. Wunderlich mühen sie sich ab, solche Glückselige, einem Elephanten gleich, der sich müht, auf dem Kopf zu stehn.
Besser aber noch, närrisch sein vor Glücke als vor Unglücke! Besser plump tanzen als lahm gehn! So lernt mir doch meine Weisheit ab: “Jedwedes schlimme Ding hat zwei gute Kehrseiten.”
So verlernt mir doch das Trübsal-blasen und alle Nachtwächter-Traurigkeit! Oh wie traurig dünken mich heute die Hanswürste noch! Dies Heute ist des Pöbels: so verlernt mir doch dies—Heute!
Dem Winde thut mir gleich, der hier aus seinen Berghöhlen herunter stürzt. Nach seiner eignen Pfeife will er tanzen, die Meere zittern und hüpfen unter seinen tanzenden Fußtapfen.
Der den Eseln Flügel giebt, der Löwinnen melkt: ehrt mir doch diesen unbändigen guten Geist, der allem Heute und allem Pöbel wie ein Sturmwind kommt, —
— der Distel- und Diftelköpfen feind ist und allen kleinen mürrischen Unkräutern, diesen wilden guten freien Sturmwind, der allen Schwer- und Schwarzsichtigen, Schwärsüchtigen Staub in die Augen bläst:
— der die Pöbel-Schwindhunde haßt und alles mißrathene düstere Gezücht: ehrt mir doch diesen Geist aller freien Geister, diesen lachenden Sturm, welcher über Meeren und Trübsalen wie auf Wiesen tanzt.
Hinaus, hinaus nun, du Wildfang und Unband! Von wem redest du doch? Fliege fern hinaus, du guter Brausewind! Wie ein Schrei und ein jauchzen fliege über weite Meere, bis du die glückseligen Inseln findest —
— grüße meine Kinder auf ihren Inseln, bringe ihnen den Gruß eines Nachbarn der Sonne, eines Nachbarn des Schnees, eines Nachbarn des Adlers, bringe ihnen zum Gruß die Liebe ihres Vaters!
Meine Kinder, meine Wohl-Geborenen, meine neue schöne Art: was zögern meine Kinder auf ihren Inseln?
Ward es nicht Zeit und höchste Zeit—so blase ihnen ins Ohr, du guter Sturmgeist—daß sie endlich zu ihrem Vater kommen? Warte ich nicht auf meine Kinder als Einer, deß Haar weiß und greis ward?
Hinaus, hinaus, du unbändiger guter Sturmgeist! Stürze hinab ins Meer aus deinen Berghöhlen, spute dich und segne vor Abend meine Kinder noch —
segne sie mit meinem Glücke, mit diesem Rosenkranz-Glücke! Wirf diese Rosen über ihre Inseln hin, wie ein Fragezeichen, welches fragt: “Woher kam solch Glück?”
— bis sie fragen lernen: “Lebt unser Vater noch? Wie, lebt unser Vater Zarathustra noch? Liebt unser alter Vater Zarathustra seine Kinder noch?”
Locke meine Kinder zu mir mit meinem besten Glücke! Ködere sie hinauf zu meiner treulichen goldbraunen Vater-Sehnsucht! Träufle auf sie den Honig einer langen langen Vater-herzens-Liebe!
Der Wind bläst, der Wind bläst, der Mond scheint,—oh meine fernen fernen Kinder, was weilt ihr nicht hier, bei eurem Vater? Der Wind bläst, keine Wolke steht am Himmel, die Welt schläft.— Oh Glück! Oh Glück!
Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte gesprochen, da erbebte er bis in die Wurzel seines Herzens: denn er merkte, als er zu seinen Füßen hinabblickte, daß er ganz allein war. Er hatte seine Gäste vergessen—hatten seine Gäste auch ihn vergessen? “wo seid ihr? Wo seid ihr?” rief Zarathustra in die Nacht hinaus: aber die Nacht schwieg. —
“Wo seid ihr? Wo seid ihr, meine Thiere?” rief Zarathustra abermals in die Nacht hinaus. Aber auch seine Thiere blieben stumm — —