Herbst 1885 - Herbst 1886 2 [101-210]
2 [113]
Ich fieng an mit einer metaphysischen Hypothese über den Sinn der Musik: aber zu Grunde lag eine psychologische Erfahrung, welcher ich noch keine genügende historische Erklärung unterzuschieben wußte. Die Übertragung der Musik ins Metaphysische war ein Akt der Verehrung und Dankbarkeit; im Grunde haben es alle religiösen Menschen bisher so mit ihrem Erlebniß gemacht.— Nun kam die Kehrseite: die unleugbar schädliche und zerstörerische Wirkung eben dieser verehrten Musik auf mich—und damit auch das Ende ihrer religiösen Verehrung. Damit giengen mir auch die Augen auf für das moderne Bedürfniß nach Musik (welches gleichzeitig in der Geschichte erscheint mit dem zunehmenden Bedürfniß nach Narcoticis) Gar das “Kunstwerk der Zukunft” erschien mir als Raffinement des Aufregungs- und Betäubungs-Bedürfnisses, wobei alle Sinne zugleich ihre Rechnung finden wollen, eingerechnet der idealistische, religiöse, hypermoralische Widersinn—als eine Gesammt-Excitation der ganzen nervösen Maschinerie. Das Wesen der Romantik gieng mir auf: der Mangel einer fruchtbaren Art von Menschen ist da zeugend geworden. Zugleich die Schauspielerei der Mittel, die Unächtheit und Entlehntheit aller einzelnen Elemente, der Mangel an Probität der künstlerischen Bildung, die abgründliche Falschheit dieser modernsten Kunst: welche wesentlich Theaterkunst sein muß. Die psychologische Unmöglichkeit dieser angeblichen Helden- und Götterseelen, welche zugleich nervös, brutal und raffinirt sind gleich den Modernsten unter den Pariser Malern und Lyrikern.— Genug, ich stellte sie mit hinein in die moderne “Barbarei.”— Damit ist über das Dionysische nichts gesagt. In der Zeit der größten Fülle und Gesundheit erscheint die Tragödie, aber auch in der Zeit der Nervenerschöpfung und -Überreizung. Entgegengesetzte Deutung.— Bei Wagner ist bezeichnend, wie er schon dem Ring des Nibelungen einen nihilistischen (ruhe- und endesüchtigen) Schluß gab.