Herbst 1885 - Herbst 1886 2 [101-210]
2 [180]
Vielleicht giebt es ein Paar Menschen in Europa, auch in Deutschland, welche an das Problem dieses Buches reichen, und nicht nur mit ihrer Neugierde, nicht nur mit den Fühlhörnern eines verwöhnten Verstandes, ihrer errathenden Ein- und Nachbildungskraft, ihres “historischen Sinns” zumal, sondern mit der Leidenschaft des Entbehrenden: deren Seele Höhe genug hat, um meine Conception des “freien Geistes” als ein Ausdrucksmittel, als eine Feinheit, wenn man will, als eine Bescheidenheit zu verstehn: diese werden sich nicht über meine Dunkelheit beklagen.
Es giebt viele Dinge, gegen welche ich nicht nöthig gefunden habe, zu reden: es versteht sich von selbst, daß mir der “Litterat” widerlich ist, daß mir alle politischen Parteien von heute widerlich sind, daß der Sozialist von mir nicht nur mit Mitleiden behandelt wird. Die beiden vornehmsten Formen Mensch, denen ich leibhaft begegnet bin, [waren] der vollkommene Christ—ich rechne es mir zu Ehren, aus einem Geschlechte zu stammen, das in jedem Sinne Ernst mit seinem Christenthum gemacht hat—und der vollkommene Künstler des romantischen Ideals, welchen ich tief unter dem christlichen Niveau gefunden habe: es liegt auf der Hand, daß, wenn man diesen Formen den Rücken gekehrt hat, weil sie Einem nicht genügen, man nicht leicht in einer anderen Art Mensch von heute sein Genüge findet,—in sofern bin ich zur Einsamkeit verurtheilt, obwohl ich mir sehr gut eine Art Menschen denken kann, an der ich mein Vergnügen hätte. Mein duldsamer und milder Ekel vor der Selbstgenügsamkeit unserer mit Bildung sich putzenden Großstädter, unserer Gelehrten — — —