Herbst 1885 - Herbst 1886 2 [101-210]
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Plan des ersten Buches
Es dämmert der Gegensatz der Welt, die wir verehren, und der Welt, die wir leben, die wir—sind. Es bleibt übrig, entweder unsere Verehrungen abzuschaffen oder uns selbst. Letzteres ist der Nihilismus.
| 1. | Der heraufkommende Nihilismus, theoretisch und praktisch. Fehlerhafte Ableitung desselben. (Pessimismus, seine Arten: Vorspiele des Nihilismus, obschon nicht nothwendig.) Übergewicht des Nordens über den Süden. |
| 2. | Das Christenthum an seiner Moral zu Grunde gehend. “Gott ist die Wahrheit.” “Gott ist die Liebe” “der gerechte Gott.”— Das größte Ereigniß— “Gott ist todt”—, dumpf gefühlt. Der deutsche Versuch, Chr[istenthum] in eine Gnosis umzuwandeln, ist zum tiefsten Mißtrauen ausgeschlagen: das “Unwahrhaftige” dabei am stärksten empfunden (—gegen Schelling z.B.). |
| 3. | Moral, ohne Sanktion nunmehr, weiß sich selbst nicht mehr zu halten. Man läßt die moralische Ausdeutung endlich fallen— (Das Gefühl überall noch voller Nachschläge des christlichen Werthurtheils—) |
| 4. | Aber auf moralischen Urtheilen beruhte der Werth bisher, vor Allem der Werth der Philosophie! (“des Willens zur Wahrheit”—) die volksthümlichen Ideale “der Weise” “der Prophet” “der Heilige” hingefallen |
| 5. | Nihilistischer Zug in den Naturwissenschaften. (“Sinnlosigkeit”—) Causalismus, Mechanismus. Die “Gesetzmäßigkeit” ein Zwischenakt, ein Überbleibsel. |
| 6. | Insgleichen in der Politik: es fehlt der Glaube an sein Recht, die Unschuld, es herrscht die Lügnerei, die Augenblicks-Dienerei |
| 7. | Insgleichen in der Volkswirthschaft: die Aufhebung der Sklaverei: Mangel eines erlösenden Standes, eines Rechtfertigers,— Heraufkommen des Anarchismus. “Erziehung?” |
| 8. | Insgleichen in der Geschichte: der Fatalismus, der Darwinismus, die letzten Versuche, Vernunft und Göttlichkeit hineinzudeuten, mißrathen. Sentimentalität vor der Vergangenheit; Man ertrüge keine Biographie!— (der Phänomenalismus auch hier: Charakter als Maske, es giebt keine Thatsachen) |
| 9. | Insgleichen in der Kunst: Romantik und ihr Gegenschlag (Widerwille gegen die romantischen Ideale und Lügen)—die reinen “Artisten” (gleichgültig gegen den Inhalt). Letzterer moralisch, als Sinn größerer Wahrhaftigkeit, aber Pessimistisch (Beichtvater-Psychologie und Puritaner-Psychologie, zwei Formen der psychologischen Romantik: aber auch noch ihr Gegenschlag, der Versuch, sich rein artistisch zum “Menschen” zu stellen,—auch da wird noch nicht die umgekehrte Werthschätzung gewagt!) |
| 10. | Das ganze europäische System der menschlichen Bestrebungen fühlt sich theils “sinnlos,” theils bereits “unmoralisch.” Wahrscheinlichkeit eines neuen Buddhismus. Die höchste Gefahr. “Wie verhalten sich Wahrhaftigkeit, Liebe, Gerechtigkeit zur wirklichen Welt?” Gar nicht! — |
| Die Anzeichen. Der europäische Nihilismus. Seine Ursache: die Entwerthung der bisherigen Werthe. |
Das unklare Wort “Pessimismus”: Leute, die sich schlecht befinden und Leute, die sich zu gut befinden—beide sind P[essimisten] gewesen.
| Verhältniß von Nihilismus, Romantik und Positivismus (letzterer ein Gegenschlag gegen die Romantik, Werk enttäuschter Romantiker) | |
| “Rückkehr zur Natur”: seine Stationen: Hintergrund christliche Vertrauensseligkeit (ungefähr schon Spinoza “deus sive natura”!) | |
| Rousseau, die Wissenschaft nach dem romantischen Idealismus | |
| Der Spinozismus höchst einflußreich: | |
| 1) | Versuch, sich zufrieden zu geben mit der Welt, wie sie ist |
| 2) | Glück und Erkenntniß naiv in Abhängigkeit gesetzt (ist Ausdruck eines Willens zum Optimismus, an dem sich ein tief Leidender verräth—) |
| 3) | Versuch, die moralische Weltordnung loszuwerden, um “Gott,” eine vor der Vernunft bestehende Welt übrig zu behalten ... |
“Wenn der Mensch sich nicht mehr für böse hält, hört er auf es zu sein—” Gut und böse sind nur Interpretationen, und durchaus kein Thatbestand, kein An sich. Man kann hinter den Ursprung dieser Art Interpretation kommen; man kann den Versuch machen, damit sich von der eingewurzelten Nöthigung, moralisch zu interpretiren, langsam zu befreien.
Zum zweiten Buche
Entstehung und Kritik der moralischen Werthschätzungen. Beides fällt nicht zusammen, wie man leichthin glaubt (dieser Glaube ist schon das Resultat einer moralischen Schätzung “etwas so und so Entstandnes ist wenig werth, als unmoralischen Ursprungs”)
Maaßstab, wonach der Werth der moralischen Werthschätzungen zu bestimmen ist: Kritik der Worte “Besserung, Vervollkommnung, Erhöhung.”
Die übersehene Grundthatsache: Widerspruch zwischen dem “Moralischer-werden” und der Erhöhung und Verstärkung des Typus Mensch
Homo natura. Der “Wille zur Macht.”
Zum dritten Buche
Der Wille zur Macht.
Wie die Menschen beschaffen sein müßten, welche diese Umwerthung an sich vornehmen.
Die Rangordnung als Machtordnung: Krieg und Gefahr die Voraussetzung, daß ein Rang seine Bedingungen festhält. Das grandiose Vorbild: der Mensch in der Natur, das Schwächste Klügste Wesen sich zum Herrn machend, die dümmeren Gewalten sich unterjochend
Zum vierten Buche
Der größte Kampf: dazu braucht es eine neue Waffe.
Der Hammer: eine furchtbare Entscheidung heraufbeschwören, Europa vor die Consequenz stellen, ob sein Wille zum Untergang “will”
Verhütung der Vermittelmäßigung. Lieber noch Untergang!