Sommer 1875 11 [1-60]
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19. Eine Reform des Theaters—es sieht für den oberflächlichen Beschauer fast lächerlich aus. Gut, es sei reformirt, was ist denn damit geschehn? wird er sagen. Nun, damit wäre der moderne Mensch verändert und reformirt; so nothwendig hängt hier alles zusammen. Es ist gar nicht möglich, die Würde der Kunst herzustellen, ohne nicht überall, in Sitte und Staat, mit Gerechtigkeit und Liebe zu neuern. Schon um zu begreifen, in wiefern die Stellung der Kunst entartet ist, in wie fern unsere Theater eine Schmach sind—muß man willig umlernen und das Herrschende Alltägliche einmal als etwas sehr Ungewöhnliches und Complicirtes verstehn. Die seltsamste Barbarei, gemeinste Ergötzlichkeit, gelehrtenhafte Absichten, Wichtigthun und Schauspielerei mit dem Ernst der Kunst, Geldgewinn, Eitelkeit der Gesellschaft, ermüdete Sinne—alles das trifft im Theater zusammen. Wirklich hat man nur das griechische dagegen zu halten, um zu sehn, wie gemein und dazu auf barocke Art gemein unsre Einrichtungen sind. Gesetzt, wir wüßten nichts von den Griechen, so wäre unserm Zustand vielleicht gar nicht beizukommen, und man hielte die Einwendungen für utopistische Träumereien. “Wie die Menschen einmal sind, gebührt ihnen eine solche Kunst—sie sind nie anders gewesen”:—würde man sagen. An demselben Orte weihevolle Ergriffenheit und Sammlung, den Höhepunkt unseres Glückes, die höchste Bestärkung der edelsten Menschen, die hingebendste Aufopferung der Künstler, dies Schauspiel aller Schauspiele selbst, den siegreichen Schöpfer eines solchen Werkes zu sehen—ist es nicht Zauberei, das zu Stande gebracht zu haben? Müssen nicht die Menschen, die das erleben können, schon verwandelt und erneuert sein? Ist nicht ein Hafen in der wüsten Weite des Meeres gefunden, eine Stille über den Wassern? Sehe ich von dort aus zurück, wie kahl und ekelhaft kommt mir dann die moderne Art, mit der Kunst zu verkehren vor, wie entwürdigend das Singen und Musiciren in unsern Concerten und Geselligkeiten, das Lesen und Sprechen in unsern gelehrten Kreisen vor! Und wie erbärmlich ist die Stellung des modernen Staates, der sich noch dazu “Culturstaat” nennen läßt! Nur einen Wunsch habe ich bei einem solchen Blick, nie in diese flache Welt zurückkehren zu müssen oder so sehr als möglich gegen sie vertheidigt zu sein; während ich allen den wirklich Leidenden Hoffnung machen möchte, daß es noch Menschen giebt, welche für sie gegen die unterdrückenden Elemente eines luxusartigen Triebes kämpfen werden. Mit dem Handwerker, Bauer und Arbeiter will ich lieber zusammen wohnen als mit dem jetzigen “Gebildeten,” mit dem frommen schlichten Manne ohne Gelehrsamkeit lieber als mit dem Gelehrten, ja selbst mit dem unverstellten Diener der Selbstsucht eher noch als mit dem maskirten.