Sommer 1875 11 [1-60]
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Zum Schlusse.
10. Die große Begabung ist das herrlichste Schauspiel von der Welt; wo sie erscheint, wird die Erde zu einem sommerlichen Garten und die Rosensträuche wollen gar nicht zu blühen aufhören. Alles muß ihr zum Heile werden, so schwere Schulen sie auch durchgeführt wird. Sie nährt sich von Gift und wird gesund und stark dabei, wenn ein Andres daran auch verderben sollte. Jede Gefährlichkeit macht sie beherzter, jeder Sieg sie besonnener. Das Gespött der umgebenden Welt ist ihr Reiz und Stachel, sie genießt es wie Lob und Balsam: schläft sie, so “Schläft sie nur neue Kraft sich an”; verirrt sie sich, so kommt sie mit der wundersamsten Beute aus Irrniß und Verlorenheit wieder heim. Sie macht den Leib immer gesunder und zehrt nicht am Leben, je mehr sie lebt; sie waltet über dem Menschen wie eine beschwingte Leidenschaft und läßt ihn gerade dann fliegen, wenn der Fuß im Sande ermüdet oder am Gestein wund worden ist. Sie kann nicht anders als mittheilen, und jeder darf an ihrem Dufte theilhaben; mildthätig und barmherzig ist sie ohne alles Nachdenken, sie sieht die Person nicht an und geizt nicht mit ihren Gaben. Zurückgewiesen, schenkt sie reichlicher, gemißbraucht von dem Beschenkten, giebt sie auch das kostbare Kleinod, das sie hat, noch hinzu; und noch niemals waren die Beschenkten der Gabe ganz würdig: so lautet die älteste und die jüngste Erfahrung. Dadurch ist die große Begabung das räthselvollste Ding, ein Abgrund in dem Kraft und Güte gepaart ruhen, eine Brücke zwischen Selbst und Nichtselbst: wer möchte den Zweck nennen, wozu sie überhaupt da ist? Sollte wirklich das Größere des Geringen wegen vorhanden sein, die größte Begabung um der kleinsten willen, die große Tugend und Heiligkeit um der Gebrechlichen willen? Wäre dies der Fall—nur einen Augenblick gönne man uns so eine überschwängliche Möglichkeit: so würde dies wie ein sonniger Strahl von Liebe sein, in dem das ganze Erdenleben vergoldet glänzte.