Sommer 1875 11 [1-60]
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Charakter der neuen Cultur: das Wissen ihr Fundament, der Nutzen ihre Seele. Woher nimmt man nun die Hoffnungen einer edleren Menschheit? Woher soll die Menschenliebe kommen? Der Veredlung des Einzelnen kann die Religion jetzt nicht mehr nützen, sein Wahrheitssinn empört sich. Die “Liebe zu Gott” ist eine Phrase. Da wäre es denn vorbei mit der Cultur? Der Nutzen bestialisirt und das Wissen mumisirt. Und die Rachegelüste der bisher unterdrückten Menschheit! Was bindet zusammen? Wo ist das Gemeinsame? Ist nicht alles Mittel zur Unterdrückung gewesen, die Kunst voran? Es ist der Haß und die Lust zu vernichten nur zu begreiflich.— Hier ist nun der Künstler Wagner ein Symptom des Entgegengesetzten. Es spricht der Geist der Verneinung des Bisherigen aus ihm; ebenfalls aber das Gefühl des tiefsten Mitleidens, des Hülfreichen, das den Kampf mit der Nothwendigkeit aufnimmt: das Prometheische des Künstlers. Fast hätte er bei diesem Kampf seine Kunst verloren: der Ekel war zu groß. “Ihr heroisch Weisen, gebt euer Herzblut drum.”
Das Mitleiden, das zur Mitthat drängt!