Sommer 1875 11 [1-60]
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12. Daß die Kunst nicht die Frucht des Luxus von Klassen oder Einzelnen ist, sondern gerade einer vom Luxus befreiten Gesellschaft zugehört und ihre Entstehung zu verdanken hat, ist der neue Gedanke. Wie eine solche Gesellschaft beschaffen sein müsse, zeigt im mythischen Bilde Wagner in den Nibelungen: wo die Götter vernichtet, die Macht und das Geld seine fluchbeladene Bahn zu Ende gelaufen ist, wo der Geist der Treue, Liebe unter den Menschen herrscht. Die bisherige Kunst ist die Frucht des Luxus (doch nicht die kirchliche); auch die Musik hat einen Antheil daran gehabt und einen spielerischen Charakter erhalten, bis sie durch Beethoven zur Besinnung kam und von Wagner gereinigt wurde. Denn er ist der kathartische Mensch für die Kunst. Es sind wirklich die Armen und Schlechtbegüterten, auch die Wenig-Unterrichteten, an denen Wagner’s Kunst ihren festesten Schutz hat.— Wagner hat ganz recht: wo die Politiker und die Weisen aufhören, da fängt der Künstler an, als Seher und Ahner der neuen Gedanken. Die nächste ungeheure Sphäre, die zu erobern ist, ist die Erziehung: und erst, wenn eine genügende Masse Menschen so im Widerspruche zu allen bestehenden Mächten sich fühlen, werden sie auch die Schultern gegen das Gebälk stemmen. Es ist eine sektirerische Kunst und wird eine sektirerische Erziehung sein: aber mit dem höchsten Streben, über die Sekte hinauszukommen. Es liegt in ihrem Wesen, nicht eine Grenze, eine Klasse abzusondern, nur durch äußere Gewalt kann sie eine Zeit Sekte sein. So lange es noch Menschen giebt, die nicht neu erzogen sind, haben die Neu-Erzogenen zu leiden.
“Wir sollen alle Genies sein” Wagner.