Sommer 1875 11 [1-60]
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13. Das Improvisatorische. Wagner hat zur Erklärung Shakespeare’s darauf hingewiesen, wie er als improvisirender Schauspieler zu denken sei, der die Besonnenheit habe, seine Improvis zu fixiren; und ähnlich bezeichnet er sich als Musiker. “Selbstentäußerung” als Wesen dieser Künste—Eingehen in fremde Seelen, Lust an dieser Vertauschung; ein solcher Seelenwechsel bei dem Musiker ist nun ein Phänomen höchster Art: das Nicht-Subjektive des Musikers etwas ganz Neues. So stellt Wagner die Meistersinger neben den Tristan—die herb-freudige Meisterschaft des Tristan, die durchgegohrne goldhellere Meisterschaft der Meistersinger: von einer solchen Möglichkeit hatten die älteren Musiker gar keine Vorstellung; wenn diese nicht ihre Stimmung, ihre Leidenschaft aussprechen wollten, waren sie steif oder spielten mit den überkommenen melodischen Typen. Besonders muß man Acht geben, wie mitunter die Musik entschieden im Gegensatz zu Wagner’s persönlicher Stimmung steht: so ist Hagen als Hochzeitrufer eine der verwegensten Selbstentäußerungen Wagner’s. Es versuche nur Einer das nachzumachen, nachdem er erst mit der Seele Partei ergriffen hat! Das Höchste ist vielleicht Mime. Und dann sehe man, wenn es Wunderthaten giebt, wie sehr da die Musik an diese Wunder glaubt, z.B. wenn Siegfried sein Schwert schmiedet: wozu eine Kraft der Entäußerung von der Zeit besteht, wovon unsre “Dichter” auch keine Ahnung haben. Wenn diese Wunder vorbringen, so schwindeln sie; wie unsere Philosophaster schwindeln, wenn sie sich in “Mystik” tauchen. Das ist aber der Fluch der jetzigen Philosophirer, daß sie sich mit ihrem phantasieleeren nüchternen und zugleich verworrenen Kopfe anstellen, als seien sie zur Mystik überhaupt befähigt; weshalb zu rathen ist, jedem, der mystische Wendungen macht, als einem unehrlichen Gesellen sechs Schritt fern zu bleiben; am wenigstens bedenklich ist es, wenn es nur Verlegenheits-Mystik ist, dort wo der Verstand unsicher wird, das Auge sich trübt, und der Besonnene sich zurückzieht—fast jeder Denker streift an solche Grenzen an. Wagner taucht in fremde Köpfe, Sinne, Zeiten hinein und hinab und macht uns nichts vor. Ein Riese, ein Höhlenwurm, Rheintöchter—das wäre alles für unsre “Dichter” Lügnerei und läppische Tändelei: sie haben den Zauber nicht im Leibe, um die Natur zu beseelen und das Belebten der Welt zu mehren! Es sei nur auf einen Augenblick—aber er war diesen Augenblick verwandelt, und trug den Eindruck davon: man höre, wie die Kröte kriecht!