Sommer 1875 11 [1-60]
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18. Wagner zeigt seine Macht besonders darin, wie er die Widerwilligen unterjocht. Kein begabter Musiker ist mehr, der nicht innerlich auf ihn hinhorchte und ihn hörenswerther fände als übrige Musik zusammen. Viele, die durchaus etwas bedeuten wollen, ringen geradezu mit diesem sie überwältigenden inneren Reize, aber wo sehe man einen, der jetzt noch sich frei erhalten hätte?—sie werden kleinlicher, suchen schlechte Bundesgenossen und Freunde, schmeicheln der Zeit und verderben so: zumal aber wenn sie die große Form affektiren, sind sie nicht mehr ehrlich, sondern wollen täuschen. Besten Falls sind sie fleißig und lernen das, was in der Musik zu lernen ist: in Vertrauen darauf, daß die “Gebildeten” den schwierigen Unterschied zwischen Original und Kopie, zwischen Erlernbarem und Unlernbarem nicht merken, schaffen sie darauf los. Ihnen allen sei, wenn sie durchaus componiren wollen, die kleinste Form anempfohlen, etwas was ich mit freiem Ausdrucke das musikalische Epigramm nennen möchte, dafür reicht vielleicht der Witz und die Gestaltungskraft, und sie können ehrlich sein, dabei kann noch Herrliches entstehn, wie bei den Griechen, die sich auch auf die kleinste Form warfen, als die großen vorweggenommen waren.
Wagner selber will keine Componistenschule.
Da knüpft man sich an die früheren Meister mit ängstlicher Beflissenheit an, hält die Ohren zu und will lieber Schubert oder Händel oder irgend einen Charakter tragen als den Wagners. Unmöglich! Dieselbe Unentrinnbarkeit bei den schriftstellerischen Gegnern; von den eigentlichen Stroh- und Holz- und Zahlenköpfen abgesehn, ist jetzt jeder selbst nur mäßig begabte überwunden; und der Neid und Haß oder gar die Noth um Brod und Geld, die Verpflichtung, die man gegen Zeitungen eingegangen ist, die Furcht vor dem Publikum, die Anstandsfrage, wie man sich einen schicklichen Rückzug bereite, alles das giebt jetzt alledem, was über Wagner gesprochen und geschrieben wird, so einen ekelhaften Charakter. Hier und da bricht die eigentliche Wuth aus, und man ist so weit gegangen, alles was teuflisch ist in Verführungskünsten Berauschungen mit dem Namen “Wagner” zu bezeichnen. Alles neue Mittel, jene Macht zu mehren! Ob man in Japan oder in den Prérien Amerika’s von Kunst redet, so kommt immer nur Eine Stellung in Betracht, die zu Wagner. Und vielleicht concentrirt sich die ganze moderne Kunstgeschichte, die letzten Jahrhunderte vorher und die nächsten nachher, um diesen einen Namen.