Herbst 1887 9 [101-190]
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(77) Rousseau, dieser typische “moderne Mensch,” Idealist und Canaille in Einer Person, und das Erste um des Zweiten willen, ein Wesen, das die “moralische Würde” und deren Attitüde nöthig hatte, um sich selber auszuhalten, krank zugleich vor zügelloser Eitelkeit und zügelloser Selbstverachtung: diese Mißgeburt, welche sich an die Schwelle unserer neuen Zeit gelagert hat, hat die “Rückkehr zur Natur” gepredigt—wohin wollte er eigentlich zurück?
Auch ich rede von “Rückkehr zur Natur”: obwohl es eigentlich nicht ein “Zurückkehren” ist, sondern ein “Hinaufkommen”—in die starke souveraine furchtbare Natur und Natürlichkeit des Menschen, welche mit großen Aufgaben spielen darf, weil sie an kleineren müde würde und Ekel empfände.— Napoleon war “Rückkehr zur Natur” in rebus tacticis und vor allem im Strategischen.
Das 18. Jahrhundert, dem man Alles verdankt, worin unser 19. Jahrhundert gearbeitet und gelitten hat: den Moral-Fanatism, die Verweichlichung des Gefühls zu Gunsten des Schwachen, Unterdrückten, Leidenden, die Rancüne gegen alle Art Privilegirte, den Glauben an den “Fortschritt,” den Glauben an den Fetisch “Menschheit,” den unsinnigen Plebejer-Stolz und die Begierde nach vollen Leidenschaften—beides romantisch —
Unsere Feindschaft gegen die révolution bezieht sich nicht auf die blutige farce, ihre “Immoralität,” mit der sie sich abspielte; vielmehr auf ihre Heerden-Moralität, auf ihre “Wahrheiten,” mit denen sie immer noch wirkt und wirkt, auf ihre contagiöse Vorstellung von “Gerechtigkeit u[nd] Freiheit,” mit der sie alle mittelmäßigen Seelen bestrickt, auf ihre Niederwerfung der Autoritäten höherer Stände. Daß es um sie herum so schauerlich und blutig zugieng, hat dieser Orgie der Mittelmäßigkeit einen Anschein von Größe gegeben, so daß sie als Schauspiel auch die stolzesten Geister verführt hat.