Herbst 1887 9 [101-190]
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(97) | Zur “logischen Scheinbarkeit.” |
Der Begriff “Individuum” und “Gattung” gleichermaßen falsch und bloß augenscheinlich. “Gattung” drückt nur die Thatsache aus, daß eine Fülle ähnlicher Wesen zu gleicher Zeit hervortreten und daß das tempo im Weiterwachsen und Sich-Verwandeln eine lange Zeit verlangsamt ist: so daß die thatsächlichen kleinen Fortsetzungen und Zuwachse nicht sehr in Betracht kommen (—eine Entwicklungsphase, bei der das Sich-Entwickeln nicht in die Sichtbarkeit tritt, so daß ein Gleichgewicht erreicht scheint, und die falsche Vorstellung ermöglicht wird, hier sei ein Ziel erreicht—und es habe ein Ziel in der Entwicklung gegeben ...)
Die Form gilt als etwas Dauerndes und deshalb Werthvolleres; aber die Form ist bloß von uns erfunden; und wenn noch so oft “dieselbe Form erreicht wird,” so bedeutet das nicht, daß es dieselbe Form ist,—sondern es erscheint immer etwas Neues—und nur wir, die wir vergleichen, rechnen dies Neue, insofern es Altem gleicht, zusammen in die Einheit der “Form.” Als ob ein Typus erreicht werden sollte und gleichsam der Bildung vorschwebe und innewohne.
Die Form, die Gattung, das Gesetz, die Idee, der Zweck—hier wird überall der gleiche Fehler gemacht, daß einer Fiktion eine falsche Realität untergeschoben wird: wie als ob das Geschehen irgendwelchen Gehorsam in sich trage,—eine künstliche Scheidung im Geschehen wird da gemacht zwischen dem, was thut und dem, wonach dies Thun sich richtet (aber das was und das wonach sind nur angesetzt von uns aus Gehorsam gegen unsere metaphysisch-logische Dogmatik: kein “ Thatbestand”)
Man soll diese Nöthigung, Begriffe, Gattungen, Formen, Zwecke, Gesetze—“eine Welt der identischen Fälle”—zu bilden, nicht so verstehn, als ob wir damit die wahre Welt zu fixiren im Stande wären; sondern als Nöthigung, uns eine Welt zurechtzumachen, bei der unsre Existenz ermöglicht wird—wir schaffen damit eine Welt, die berechenbar, vereinfacht, verständlich usw. für uns ist.
Diese selbe Nöthigung besteht in der Sinnen-Aktivität, welche der Verstand unterstützt,—durch Vereinfachen, Vergröbern, Unterstreichen und Ausdichten, auf dem alles “Wiedererkennen,” alles Sich-verständlich-machen-können beruht. Unsre Bedürfnisse haben unsre Sinne so präcisirt, daß die “gleiche Erscheinungswelt” immer wieder kehrt und dadurch den Anschein der Wirklichkeit bekommen hat.
Unsre subjektive Nöthigung, an die Logik zu glauben, drückt nur aus, daß wir, längst bevor uns die Logik selber zum Bewußtsein kam, nichts gethan haben als ihre Postulate in das Geschehen hineinlegen: jetzt finden wir sie in dem Geschehen vor—wir können nicht mehr anders—und vermeinen nun, diese Nöthigung verbürge etwas über die “Wahrheit.” Wir sind es, die “das Ding,” das “gleiche Ding,” das Subjekt, das Prädikat, das Thun, das Objekt, die Substanz, die Form geschaffen haben, nachdem wir das Gleichmachen, das Grob- und Einfachmachen am längsten getrieben haben.
Die Welt erscheint uns logisch, weil wir sie erst logisirt haben