Herbst 1887 9 [101-190]
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(123) | Die Moral in der Werthung von Rassen und Ständen. |
In Anbetracht, daß Affekte und Grundtriebe bei jeder Rasse und bei jedem Stande etwas von ihren Existenzbedingungen ausdrücken (—zum Mindesten von den Bedingungen, unter denen sie die längste Zeit sich durchgesetzt haben:)
: heißt verlangen, daß sie “tugendhaft” sind: daß sie ihren Charakter wechseln, aus der Haut fahren und ihre Vergangenheit auswischen.
: heißt, daß sie aufhören sollen, sich zu unterscheiden
: heißt, daß sie in Bedürfnissen und Ansprüchen sich anähnlichen sollen—deutlicher: daß sie zu Grunde gehen ...
Der Wille zu Einer Moral erweist sich somit als die Tyrannei jener Art, der diese Eine Moral auf den Leib geschnitten ist, über andere Art[en]: es ist die Vernichtung oder die Uniformirung zu Gunsten der Herrschenden (sei es, um ihr nicht mehr furchtbar zu sein, sei es, um von ihr ausgenutzt zu werden)
“Aufhebung der Sklaverei”—angeblich ein Tribut an die “Menschenwürde,” in Wahrheit eine Vernichtung einer grundverschiedenen species (—Untergrabung ihrer Werthe und ihres Glücks—)
Worin eine gegnerische Rasse oder ein gegnerischer Stand seine Stärke hat, das wird ihm als sein Bösestes, Schlimmstes ausgelegt: denn damit schadet er uns (—seine “Tugenden” werden verleumdet und umgetauft)
Es gilt als Einwand gegen Mensch und Volk, wenn er uns schadet: aber von seinem Gesichtspunkt aus sind wir ihm erwünscht, weil wir solche sind, an denen man sich nützen kann.
Die Forderung der “Vermenschlichung” (welche ganz naiv sich im Besitz der Formel “was ist menschlich?” glaubt) ist eine Tartüfferie, unter der sich eine ganz bestimmte Art Mensch zur Herrschaft zu bringen sucht: genauer, ein ganz bestimmter Instinkt, der Heerdeninstinkt.
“Gleichheit der Menschen”: was sich verbirgt unter der Tendenz, immer mehr Menschen als Menschen gleich zu setzen.
Die “Interessirtheit” in Hinsicht auf die gemeine Moral (Kunstgriff: die großen Begierden Herrschsucht und Habsucht zu Protectoren der Tugend zu machen)
In wiefern alle Art Geschäftsmänner und Habsüchtige, alles, was Credit geben und in Anspruch nehmen muß, es nöthig hat, auf gleichen Charakter und gleichen Werthbegriff zu dringen: der Welthandel und -Austausch jeder Art erzwingt und kauft sich gleichsam die Tugend.
Insgleichen der Staat und jede Art Herrschsucht in Hinsicht auf Beamte und Soldaten; insgleichen die Wissenschaft, um mit Vertrauen und Sparsamkeit der Kraft zu arbeiten
Insgleichen die Priesterschaft:
— Hier wird also die gemeine Moral erzwungen, weil mit ihr ein Vortheil errungen wird; und um sie zum Sieg zu bringen, wird Krieg und Gewalt geübt gegen die Unmoralität—nach welchem “Rechte”? Nach gar keinem Rechte: sondern gemäß dem Selbsterhaltungsinstinkt. Dieselben Classen bedienen sich der Immoralität, wo sie ihnen nützt.