Herbst 1887 9 [101-190]
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(98) | Zum “Macchiavellismus” der Macht. |
Der Wille zur Macht erscheint
a) bei den Unterdrückten, bei Sklaven jeder Art als Wille zur “Freiheit”: bloß das Loskommen scheint das Ziel (moralisch-religiös: “nur seinem eignen Gewissen verantwortlich” “evangelische Freiheit” usw.)
b) bei einer stärkeren und zur Macht heranwachsenden Art als Wille zur Übermacht; wenn zunächst erfolglos, dann sich einschränkend auf den Willen zur “Gerechtigkeit” d.h. zu dem gleichen Maß von Rechten, wie die andere herrschende Art sie hat. Kampf um Rechte ...
c) bei den Stärksten, Reichsten, Unabhängigsten, Muthigsten als “Liebe zur Menschheit,” zum “Volke,” zum Evangelium, zur Wahrheit, Gott; als Mitleid; “Selbstopferung” usw. als Überwältigen, Mit-sich-fortreißen, in-seinen-Dienst-nehmen; als instinktives Sich-in-Eins-rechnen mit einem großen Quantum Macht, dem man Richtung zu geben vermag: der Held, der Prophet, der Cäsar, der Heiland, der Hirt (—auch die Geschlechtsliebe gehört hierher: sie will die Überwältigung, das in-Besitz-nehmen und sie erscheint als Sich-hin-geben ...) im Grunde nur die Liebe zu seinem “Werkzeug,” zu seinem “Pferd” ..., seine Überzeugung davon, daß ihm das und das zugehört, als Einem, der im Stande ist, es zu benutzen.
”Freiheit,” “Gerechtigkeit” und “Liebe”!!!
Das Unvermögen zur Macht: seine Hypokrisie und Klugheit:
als Gehorsam (Einordnung, Pflicht-Stolz, Sittlichkeit ...)
als Ergebung, Hingebung, Liebe (Idealisirung, Vergötterung des Befehlenden als Schadenersatz und indirekte Selbstverklärung)
als Fatalism, Resignation
als “Objektivität”
als Selbsttyrannisirung (Stoicism, Askese, “Entselbstung,” “Heiligung”)
(—überall drückt sich das Bedürfniß aus, irgend eine Macht doch noch auszuüben oder sich selbst den Anschein einer Macht zeitweilig zu schaffen (als Rausch)
als Kritik, Pessimismus, Entrüstung, Quälgeisterei
als “schöne Seele,” “Tugend,” “Selbstvergötterung,” “Abseits,” “Reinheit von der Welt” usw. (—die Einsicht in das Unvermögen zur M[acht] sich als dédain verkleidend)
Die Menschen, welche die Macht wollen um der Glücks-Vortheile willen, die die Macht gewährt (politische Parteien)
andere Menschen, welche die Macht wollen, selbst mit sichtbaren Nachtheilen und Opfern an Glück und Wohlbefinden: die Ambitiosi
andere Menschen, welche die Macht wollen, bloß weil sie sonst in andere Hände fiele, von denen sie nicht abhängig sein wollen
Zum Problem: ob die Macht im “Willen zur Macht” bloss Mittel ist: Das Protoplasma sich etwas aneignend und anorganisirend, also sich verstärkend und Macht ausübend, um sich zu verstärken.
In wiefern das Verhalten des Protoplasma beim Aneignen und Anorganisiren den Schlüssel giebt zum chemischen Verhalten zweier Stoffe zu einander (Kampf und Machtfeststellung)