Herbst 1887 9 [101-190]
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(108) | Fälschung in der Psychologie |
Die großen Verbrechen in der Psychologie:
1) daß alle Unlust, alles Unglück, mit dem Unrecht (der Schuld) gefälscht worden ist (man hat dem Schmerz die Unschuld genommen)
2) daß alle starken Lustgefühle (Übermuth, Wollust, Triumph, Stolz, Verwegenheit, Erkenntniß, Selbstgewißheit und Glück an sich) als sündlich, als Verführung, als verdächtig gebrandmarkt worden sind.
3) daß die Schwächegefühle, die innerlichsten Feigheiten, der Mangel an Muth zu sich selbst mit heiligenden Namen belegt und als wünschenswerth im höchsten Sinn gelehrt worden sind.
4) daß alles Große am Menschen umgedeutet worden ist als Entselbstung, als Sich-opfern für etwas Anderes, für Andere; daß selbst am Erkennenden, selbst am Künstler die Entpersönlichung als die Ursache seines höchsten Erkennens und Könnens vorgespiegelt worden ist.
5) daß die Liebe gefälscht worden ist als Hingebung (und Altruism), während sie ein Hinzu-Nehmen ist oder ein Abgeben in Folge eines Überreichthums von Persönlichkeit. Nur die ganzesten Personen können lieben; die Entpersönlichten, die “Objektiven” sind die schlechten Liebhaber (—man frage die Weibchen!). Das gilt auch von der Liebe zu Gott, oder zum “Vaterland”: man muß fest auf sich selber sitzen,
Der Egoismus als die Ver-Ichlichung, der Altruismus als die Ver-Änderung
6) das Leben als Strafe, das Glück als Versuchung; die Leidenschaften als teuflisch, das Vertrauen zu sich als gottlos
NB Diese ganze Psychologie ist eine Psychologie der Verhinderung, eine Art Vermauerung aus Furcht; einmal will sich die große Menge (die Schlechtweggekommenen und Mittelmäßigen) damit wehren gegen die Stärkeren (—und sie in der Entwicklung zerstören ....), andererseits alle die Triebe, mit denen sie selbst am besten gedeiht, heiligen und allein in Ehren gehalten wissen. Vergl. die jüdische Priesterschaft.