Herbst 1887 9 [101-190]
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(110) | Wessen Wille zur Macht ist die Moral? |
Das Gemeinsame in der Geschichte Europas seit Sokrates ist der Versuch, die moralischen Werthe zur Herrschaft über alle anderen Werthe zu bringen: so daß sie nicht nur Führer und Richter des Lebens sein sollen, sondern auch
1. der Erkenntniß
2. der Künste
3. der staatlichen und gesellschaftlichen Bestrebungen
“besser-werden” als einzige Aufgabe, alles Übrige dazu Mittel (oder Störung, Hemmung, Gefahr: folglich bis zur Vernichtung zu bekämpfen ...)
Eine ähnliche Bewegung in China
Eine ähnliche Bewegung in Indien.
Was bedeutet dieser Wille zur Macht seitens der moralischen Werthe, der in drei ungeheuren Entwicklungen sich bisher auf der Erde abgespielt hat?
Antwort:—drei Mächte sind hinter ihm versteckt: 1) der Instinkt der Heerde gegen die Starken Unabhängigen 2) der Instinkt der Leidenden und Schlechtweggekommenen gegen die Glücklichen 3) der Instinkt der Mittelmäßigen gegen die Ausnahmen.— Ungeheurer Vortheil dieser Bewegung, wie viel Grausamkeit, Falschheit und Bornirtheit auch in ihr mitgeholfen hat: (denn die Geschichte vom Kampf der Moral mit den Grundinstinkten des Lebens ist selbst die größte Immoralität, die bisher auf Erden dagewesen ist ...)