Herbst 1887 10 [1-100]
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(146) Ich versuche eine ökonomische Rechtfertigung der Tugend.— Die Aufgabe ist, den Menschen möglichst nutzbar [zu] machen, und ihn soweit es irgendwie angeht der unfehlbaren Maschine zu nähern: zu diesem Zwecke muß er mit Maschinen-Tugenden ausgestattet werden (—er muß die Zustände, in welchen er machinal-nutzbar arbeitet, als die höchstwerthigen empfinden lernen: dazu thut noth, daß ihm die anderen möglichst entleidet, möglichst gefährlich und verrufen gemacht werden ...)
Hier ist der erste Stein des Anstoßes die Langeweile, die Einförmigkeit, welche alle machinale Thätigkeit mit sich bringt. Diese ertragen zu lernen und nicht nur ertragen, die Langeweile von einem höheren Reize umspielt sehen lernen: dies war bisher die Aufgabe alles höheren Schulwesens. Etwas lernen, was uns nichts angeht; und eben darin, in diesem “objektiven” Thätigsein seine “Pflicht” empfinden; die Lust und die Pflicht von einander getrennt abschätzen lernen—das ist die unschätzbare Aufgebung und Leistung des höheren Schulwesens. Der Philologe war deshalb bisher der Erzieher an sich: weil seine Thätigkeit selber das Muster einer bis zum Großartigen gehenden Monotonie der Thätigkeit abgiebt: unter seiner Fahne lernt der Jüngling “ochsen”: erste Vorbedingung zur einstmaligen Tüchtigkeit machinaler Pflichterfüllung (als Staats-Beamter, Ehegatte, Bureauschreiberling, Zeitungsleser und Soldat) Eine solche Existenz bedarf vielleicht einer philosophischen Rechtfertigung und Verklärung mehr noch als jede andere: die angenehmen Gefühle müssen von irgend einer unfehlbaren Instanz aus überhaupt als niedrigeren Ranges abgewerthet werden; die “Pflicht an sich,” vielleicht sogar das Pathos der Ehrfurcht in Hinsicht auf alles, was unangenehm ist—und diese Forderung als jenseits aller Nützlichkeit, Ergötzlichkeit, Zweckmäßigkeit redend, imperativisch ... Die machinale Existenzform als höchste ehrwürdigste Existenzform, sich selbst anbetend. (—Typus: Kant als Fanatiker des Formalbegriffs “du sollst”)