Herbst 1887 10 [1-100]
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(199) das Christenthum als eine Entnatürlichung der Heerden-Thier-Moral: unter absolutem Mißverständniß und Selbstverblendung
die Demokratisirung ist eine natürlichere Gestalt derselben, eine weniger verlogene
Thatsache: die Unterdrückten, die Niedrigen, die ganz große Menge von Sklaven und Halbsklaven wollen zur Macht
1) Stufe: sie machen sich frei—sie lösen sich aus, imaginär zunächst, sie erkennen sich unter einander an, sie setzen sich durch
2) Stufe: sie treten in Kampf, sie wollen Anerkennung, gleiche Rechte, “Gerechtigkeit”
3) Stufe: sie wollen die Vorrechte (—sie ziehen die Vertreter der Macht auf sich hinüber)
4) Stufe: sie wollen die Macht allein, und sie haben sie ...
Im Christenthum sind drei Elemente zu unterscheiden:
a) die Unterdrückten aller Art
b) die Mittelmäßigen aller Art
c) die Unbefriedigten und Kranken aller Art
mit dem ersten Elemente kämpft es gegen die politisch Vornehmen und deren Ideal
mit dem zweiten Elemente gegen die Ausnahmen und Privilegirten (geistig, sinnlich—) jeder Art
mit dem dritten Element gegen den Natur-Instinkt der Gesunden und Glücklichen.
wenn es zum Siege kommt, so tritt das zweite Element in den Vordergrund; denn dann hat das Christenthum die Gesunden und Glücklichen zu sich überredet (als Krieger für seine Sache), insgleichen die Mächtigen (als interessirt wegen der Überwältigung der Menge),—und jetzt ist es der Heerden-Instinkt, die in jedem Betracht werthvolle Mittelmaß-Natur, die ihre höchste Sanktion durch das Christenthum bekommt. Diese Mittelmaß-Natur kommt endlich so weit sich zum Bewußtsein (—gewinnt den Muth zu sich—), daß sie auch politisch sich die Macht zugesteht ...
— die Demokratie ist das vernatürlichte Christenthum: eine Art “Rückkehr zur Natur,” nachdem nur durch eine extreme Antinatürlichkeit die entgegengesetzte Werthung überwunden werden konnte.— Folge: das aristokratische Ideal entnatürlicht sich nunmehr (“der höhere Mensch” “vornehm” “Künstler” “Leidenschaft” “Erkenntniß” usw.) Romantik als Cultus der Ausnahme, Genie usw.