Herbst 1887 10 [1-100]
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(151) Die “Modernität” unter dem Gleichniß von Ernährung und Verdauung.
Die Sensibilität unsäglich reizbarer (—unter moralistischem Aufputz als die Vermehrung des Mitleids—) die Fülle disparater Eindrücke größer als je:—der Kosmopolitism der Speisen, der Litteraturen, Zeitungen, Formen, Geschmäcker, selbst Landschaften usw.
das tempo dieser Einströmung ein prestissimo; die Eindrücke wischen sich aus; man wehrt sich instinktiv, etwas hereinzunehmen, tief zu nehmen, etwas zu “verdauen”
— Schwächung der Verdauungs-Kraft resultirt daraus. Eine Art Anpassung an diese Überhäufung mit Eindrücken tritt ein: der Mensch verlernt zu agiren; er reagirt nur noch auf Erregungen von außen her. Er giebt seine Kraft aus theils in der Aneignung, theils in der Vertheidigung, theils in der Entgegnung.
Tiefe Schwächung der Spontaneität:—der Historiker, Kritiker, Analytiker, der Interpret, der Beobachter, der Sammler, der Leser—alles reaktive Talente: alle Wissenschaft!
Künstliche Zurechtmachung seiner Natur zum “Spiegel”; interessirt, aber gleichsam bloß epidermal-interessirt; eine grundsätzliche Kühle, ein Gleichgewicht, eine festgehaltene niedere Temperatur dicht unter der dünnen Fläche, auf der es Wärme, Bewegung, “Sturm,” Wellenspiel giebt
Gegensatz der äußeren Beweglichkeit zu einer gewissen tiefen Schwere und Müdigkeit.