Frühjahr 1888 14 [1-100]
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Die unbewußte Wirkung der décadence auf die Ideale der Wissenschaft
Es giebt eine tiefe und vollkommen unbewußte Wirkung der décadence selbst auf die Ideale der Wissenschaft: unsere ganze Sociologie ist der Beweis für diesen Satz. Ihr bleibt vorzuwerfen, daß sie nur das Verfalls-Gebilde der Societät aus Erfahrung kennt und unvermeidlich die eigenen Verfalls-Instinkte als Norm des sociologischen Urtheils nimmt.
Das niedersinkende Leben im jetzigen Europa formulirt in ihnen seine Gesellschafts-Ideale: sie sehen alle zum Verwechseln dem Ideal alter überlebter Rassen ähnlich ...
Der Heerdeninstinkt sodann—eine jetzt souverän gewordene Macht—ist etwas Grundverschiedenes vom Instinkt einer aristokratischen Societät: und es kommt auf den Werth der Einheiten an, was die Summe zu bedeuten hat ...
Unsere ganze Sociologie kennt gar keinen anderen Instinkt als den der Heerde, d.h. der summirten Nullen ... wo jede Null “gleiche Rechte” hat, wo es tugendhaft ist, Null zu sein ...
Die Werthung, mit der heute die verschiedenen Formen der Societät beurteilt werden, ist ganz und gar eins mit jener, welche dem Frieden einen höheren Werth zuertheilt als dem Krieg: aber dies Urtheil ist antibiologisch, ist selbst eine Ausgeburt der décadence des Lebens ... Herr Herbert Spencer ist als Biologe ein décadent,—meist auch als Moralist (—er sieht im Sieg des Altruismus etwas Wünschenswerthes!!!). Das Leben ist eine Folge des Krieges, die Gesellschaft selbst ein Mittel zum Krieg.