Frühjahr 1888 14 [1-100]
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Überzeugung
Zur Psychologie des Paulus.
Das Faktum ist der Tod Jesu. Dies bleibt auszulegen ...
Daß es eine Wahrheit und einen Irrthum in der Auslegung giebt, ist gar nicht solchen Leuten in den Sinn gekommen: eines Tages steigt ihnen eine sublime Möglichkeit in den Kopf, “es könnte dieser Tod das und das bedeuten”
und sofort ist er das! Eine Hypothese beweist sich durch den sublimen Schwung, welchen sie ihrem Urheber giebt ...
“Der Beweis der Kraft”: d.h. ein Gedanke wird durch seine Wirkung bewiesen,—(“an seinen Früchten,” wie die Bibel naiv sagt)
was begeistert, muß wahr sein —
wofür man sein Blut läßt, muß wahr sein —
* *
Hier wird überall das plötzliche Machtgefühl, das ein Gedanke in seinem Urheber erregt, diesem Gedanken als Werth zugerechnet:—und da man einen Gedanken gar nicht anders zu ehren weiß, als indem man ihn als wahr bezeichnet, so ist das erste Prädikat, das er zu seiner Ehre bekommt, er sei wahr .. Wie könnte er sonst wirken? Er wird von einer Macht imaginirt: gesetzt sie wäre nicht real, so könnte sie nicht wirken ... Er wird als inspirirt aufgefaßt: die Wirkung, die er ausübt, hat etwas von der Übergewalt eines dämonischen Einflusses —
Ein Gedanke, dem ein solcher décadent nicht Widerstand zu leisten vermag, dem er vollends verfällt, ist als wahr “bewiesen”!!!
Alle diese heiligen Epileptiker und Gesichte-Seher besaßen nicht ein Tausendstel von jener Rechtschaffenheit der Selbstcritik, mit der heute ein Philologe einen Text liest oder ein historisches Ereigniß auf seine Wahrheit prüft ...
es sind, im Vergleich zu uns, moralische Cretins ...