Frühjahr 1888 14 [1-100]
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décad[ence]
Was sich vererbt, das ist nicht die Krankheit, sondern die Krankhaftigkeit: die Unkraft im Widerstande gegen die Gefahr schädlicher Einwanderungen usw.; die gebrochene Widerstandskraft—moralisch ausgedrückt: die Resignation und Demuth vor dem Feinde.
Ich habe mich gefragt, ob man nicht alle diese obersten Werthe der bisherigen Philosophie Moral und Religion mit den Werthen der Geschwächten, Geisteskranken und Neurastheniker vergleichen kann: sie stellen, in einer milderen Form, dieselben Übel dar ...
der Werth aller morbiden Zustände ist, daß sie in einem Vergrößerungsglas gewisse Zustände, die normal aber als normal schlecht sichtbar sind, zeigen ...
Gesundheit und Krankheit sind nichts wesentlich Verschiedenes, wie es die alten Mediziner und heute noch einige Praktiker glauben. Man muß nicht distinkte Principien, oder Entitäten daraus machen, die sich um den lebenden Organismus streiten und aus ihm ihren Kampfplatz machen. Das ist altes Zeug und Geschwätz, das zu nichts mehr taugt. Thatsächlich giebt es zwischen diesen beiden Arten des Daseins nur Gradunterschiede: die Übertreibung, die Disproportion, die Nicht-Harmonie der normalen Phänomene constituiren den krankhaften Zustand. Claude Bernard.
So gut das Böse betrachtet werden kann als Übertreibung, Disharmonie, Disproportion, so gut kann das Gute eine Schutzdiät gegen die Gefahr der Übertreibung, Disharmonie und Disproportion sein
Die erbliche Schwäche, als dominirendes Gefühl: Ursache der obersten Werthe.
NB. Man will Schwäche: warum? ... meistens, weil man nothwendig schwach ist ...
Die Schwächung als Aufgabe: Schwächung der Begehrungen, der Lust- und Unlustgefühle, des Willens zur Macht, zum Stolzgefühl, zum Haben und Mehr-haben-wollen; die Schwächung als Demuth; die Schwächung als Glaube; die Schwächung als Widerwille und Scham an allem Natürlichen, als Verneinung des Lebens, als Krankheit und habituelle Schwäche ...
die Schwächung als Verzichtleisten auf Rache, auf Widerstand, auf Feindschaft und Zorn.
der Fehlgriff in der Behandlung: man will die Schwäche nicht bekämpfen durch ein système fortifiant, sondern durch eine Art Rechtfertigung und Moralisirung: d.h. durch eine Auslegung ...
Die Verwechslung zweier gänzlich verschiedener Zustände: z.B. die Ruhe der Stärke, welche wesentlich Enthaltung der Reaktion ist, der Typus der Götter, welche nichts bewegt ...
und die Ruhe der Erschöpfung, die Starrheit, bis zur Anaesthesie.
: alle philosophisch-asketischen Prozeduren streben nach der zweiten, aber meinen in der That die erste ... Denn sie legen dem erreichten Zustande die Prädikate bei, wie als ob ein göttlicher Zustand erreicht sei.