Frühjahr 1888 14 [1-100]
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Gegenbewegung: Religion
Die zwei Typen:
Dionysos und der Gekreuzigte.
Festzuhalten: der typische religiöse Mensch—ob eine décadence-Form?
Die großen Neuerer sind sammt und sonders krankhaft und epileptisch
: aber lassen wir nicht da einen Typus des religiösen Menschen aus, den heidnischen? Ist der heidnische Cult nicht eine Form der Danksagung und Bejahung des Lebens? Müßte nicht sein höchster Repräsentant eine Apologie und Vergöttlichung des Lebens sein?
Typus eines vollgerathenen und entzückt-überströmenden Geistes ...
Typus eines die Widersprüche und Fragwürdigkeiten des Daseins in sich hineinnehmenden und erlösenden Typus?
— Hierher stelle ich den Dionysos der Griechen:
die religiöse Bejahung des Lebens, des ganzen, nicht verleugneten und halbirten Lebens
typisch: daß der Geschlechts-Akt Tiefe, Geheimniß, Ehrfurcht erweckt
Dionysos gegen den “Gekreuzigten”: da habt ihr den Gegensatz. Es ist nicht eine Differenz hinsichtlich des Martyriums,—nur hat dasselbe einen anderen Sinn. Das Leben selbst, seine ewige Fruchtbarkeit und Wiederkehr bedingt die Qual, die Zerstörung, den Willen zur Vernichtung ...
im anderen Fall gilt das Leiden, der “Gekreuzigte als der Unschuldige,” als Einwand gegen dieses Leben, als Formel seiner Verurtheilung.
Man erräth: das Problem ist das vom Sinn des Leidens: ob ein christlicher Sinn, ob ein tragischer Sinn ... Im ersten Falle soll es der Weg sein zu einem seligen Sein, im letzteren gilt das Sein als selig genug, um ein Ungeheures von Leid noch zu rechtfertigen
Der tragische Mensch bejaht noch das herbste Leiden: er ist stark, voll, vergöttlichend genug dazu
Der christliche verneint noch das glücklichste Los auf Erden: er ist schwach, arm, enterbt genug, um in jeder Form noch am Leben zu leiden ...
“der Gott am Kreuz” ist ein Fluch auf Leben, ein Fingerzeig, sich von ihm zu erlösen
der in Stücke geschnittene Dionysos ist eine Verheißung ins Leben: es wird ewig wieder geboren und aus der Zerstörung heimkommen