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November 1887 - März 1888 11 [301-417]
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[Vgl. Hippolyte Taine, Essai sur Tite Live. Paris: Hachette, 1856:Préface.]
| Wagner: | 1) | nicht sich täuschen lassen durch die, deutsche Tendenz — seine Sensibilität ist so wenig deutsch als möglich; dagegen um so deutscher seine Art Geist und Geistigkeit (den Stil eingerechnet) — er hat die tiefste Sympathie für die großen Symbole des mittelalterlichen Europa und sucht deren “Träger” — — der Typus seiner Helden ist so wenig deutsch als möglich: Tannhäuser, der fliegende Holländer, Rienzi, Lohengrin, Elsa, Tristan, Siegfried, Parsifal: man versuche doch die — — —: bleibt der “Meistersinger” — der Cultus der “Passion” ist nicht deutsch — der Cultus des “Dramas” ist nicht deutsch: er hat eine ungeheure überzeugungskraft durch Wucht und Furchtbarkeit der Gebärde. |
| 2) | was ist deutsch? — die ungewisse Symbolik, die Lust am Ungenau-Gedachten, der falsche “Tiefsinn,” das Willkürliche, der Mangel an Feuer, Witz und Anmuth, die Unfähigkeit zur großen Linie, zum Nothwendigen in — — — | |
| 3) | man muß in der Hauptsache sich nicht irreführen lassen: das musikalische Drama W[agner]s ist ein Rückschritt, schlimmer, eine Decadence-Form der Musik — — er hat alles Musikalische, die Musik geopfert, um aus ihr eine Kunst des Ausdrucks, der Verstärkung, der Suggestion, des Psychologisch-Pittoresken zu machen |
der außerordentliche Schauspieler- und Theater-Instinkt war bisher insgleichen nicht deutsch (—man versteht nichts von Wagner, wenn man nicht in diesem Instinkt seine faculté maîtresse, seinen dominirenden Instinkt begreift)
die deutsche Tiefe, Vielheit, Willkür, Fülle, Ungewißheit: die großen Symbole und Räthsel, mit sanftem Donner aus ungeheurer Ferne laut werdend: der deutsche graue und bösartige Himmel, der das Glück nur als Carikatur und Wunsch kennt —