November 1887 - März 1888 11 [301-417]
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Die angebliche Jugend
Man betrügt sich, wenn man hier von einem naiven und jungen Volks-Dasein träumt, das sich gegen eine alte Cultur abhebt; es geht der Aberglaube, als ob in diesen Schichten des niedersten Volkes, wo das Christenthum wuchs und Wurzeln schlug, die tiefere Quelle des Lebens wieder emporgesprudelt sei: man versteht nichts von der Psychologie der Christlichkeit, wenn man sie als Ausdruck einer neu heraufkommenden Volks-Jugend und Rassen-Verstärkung nimmt. Vielmehr: es ist eine typische décadence-Form; die Moral-Verzärtlichung und Hysterie einer müde und ziellos gewordenen, krankhaften Mischmasch-Bevölkerung. Diese wunderliche Gesellschaft, welche hier um diesen Meister der Volks-Verführung sich zusammenfindet, gehört eigentlich sammt und sonders in einen russischen Roman: alle Nervenkrankheiten geben sich bei ihnen ein Rendez-vous ... die Abwesenheit von Aufgaben, der Instinkt, daß Alles eigentlich am Ende sei, daß sich Nichts mehr lohne, die Zufriedenheit in einem dolce far niente
: die Macht und Zukunfts-Gewißheit des jüdischen Instinkts, das Ungeheure seines zähen Willens zu Dasein und Macht liegt in seiner herrschenden Classe; die Schichten, welche das junge Christenthum emporhebt, sind durch Nichts schärfer gezeichnet als durch die Instinkt-Ermüdung. Man hat es satt: das ist das Eine—und man ist zufrieden, bei sich, in sich, für sich—das ist das Andre.