November 1887 - März 1888 11 [301-417]
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Der Typus Jesus.
Man vergreift sich, wenn man sich ein fanatisches Element in Jesus hineindenkt ... “impérieux” Renan
— es fehlt alle Tortur im Glauben, es ist eine gute Botschaft und der Zustand eines “guten Botschafters” ...
— dieser Glaube ist nicht erkämpft, hat keine Entwicklung, keine Katastrophe ... vielmehr kindlich ... die Kindheit ist bei solchen Naturen wie eine Krankheit zurückgetreten —
— dieser Glaube zürnt nicht, tadelt nicht, straft nicht, wehrt sich nicht —
— dieser Glaube bringt nicht “das Schwert” ... er ahnt nicht, daß er trennen könnte ...
— dieser Glaube beweist sich weder durch Wunder, noch durch Versprechung auf Lohn ... er selbst ist jeden Augenblick sein Beweis, sein Lohn, sein Wunder —
— dieser Glaube formulirt sich nicht, weil er lebt— ... er hält nichts sonst für real ... “wahr” d.h. lebendig ..
— die Zufälle der Vorbildung, der Lektüre (die Propheten) bestimmen seine Begriffs-Sprache: das Jüdische am Christenthum ist vor allem die jüdische Begriffswelt. Vehikel, die jüdische Psychologie: aber man hüte sich hier zu verwechseln—: ein Christ in Indien hätte sich der Formeln der Sankhya-Philosophie bedient, in China der des Laotse—darauf kommt gar nichts an —
Christ[us] als “freier Geist”: er macht sich aus allem Festen nichts (Wort, Formel, Kirche, Gesetz, Dogmen) “alles, was fest ist, tödtet ...” er glaubt nur ans Leben und Lebendige—und das “ist” nicht, das wird ...
: er steht außerhalb aller Metaphysik, Religion, Historie, Naturwissenschaft, Psychologie, Ethik—: er hat nie geahnt, daß es dergleichen giebt ...
: er redet bloß vom Innersten, von Erlebnissen: alles Übrige hat den Sinn eines Zeichens und eines Sprachmittels —