November 1887 - März 1888 11 [301-417]
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Man kann das Christenthum gar nicht mehr mißverstehen, als wenn man annimmt, daß zu Anfang die grobe Wunderthäter- und Erlöser-Geschichte steht und daß das Spiritual- und Symbolisch-Nehmen erst eine spätere Form der Metamorphose ist ...
Umgekehrt: die Geschichte des Christenthums ist die Geschichte des schrittweisen immer gröberen Mißverstehen-müssens eines sublimen Symbolismus ...: mit jeder Ausbreitung des Christenthums über immer breitere und rohere Massen, die den Ursprungs-Instinkten des Christenthums fern standen (—denen alle Voraussetzungen abgiengen, es zu verstehen—) ist eine Legendengeschichte, eine Theologie, eine Kirchen-Gründung zum Vorschein gekommen—: das Bedürfniß der niedrigsten, später der barbarischen Schichten brachte die Nothwendigkeit mit sich, das Christenthum erst zu vulgarisiren, dann zu barbarisiren ...
Die Kirche ist der Wille, die Vulgär- und Barbaren-Sprache des Christenthums als “die Wahrheit” aufrecht zu erhalten— ... und heute noch!
Der Paulinische, der Augustinische Platonismus—: bis endlich diese schamlose Carikatur von Philosophie und Rabbinismus fertig geworden ist, die christliche Theologie ...
die unwürdigen Bestandtheile des Christenthums:
das Wunder
die Hierarchie der Seelen, die Rangordnung
die Heilsgeschichte und der Glaube an sie ...
der Begriff der “Sünde”
die Geschichte des Christenthums ist die Nothwendigkeit, daß ein Glaube selbst so niedrig und vulgär wird, als die Bedürfnisse sind, die mit ihm befriedigt werden sollen —
... man denke an Luther! Was könnte eine mit so groben Begierden überladene Natur mit dem ursprünglichen Christenthum anfangen!
die jüdische Stufe der Entnatürlichung: “Abfall, Unglück, Buße, Versöhnung” als übrig gebliebenes Schema,—im übrigen Haß gegen die “Welt”
Jesus geht direkt auf den Zustand los, das “Himmelreich” im Herzen und findet die Mittel nicht in der Observanz der jüdischen Kirche—er rechnet selbst die Realität des Judenthums (seine Nöthigung, sich zu erhalten) für nichts; er ist rein innerlich —
ebenso macht er sich nichts aus den sämmtlichen groben Formeln im Verkehr mit Gott: er wehrt sich gegen die ganze Buß- und Versöhnungs-Lehre; er zeigt, wie man leben muß, um sich als “vergöttlicht” zu fühlen—und wie man nicht mit Buße und Zerknirschung über seine Sünden dazu kommt: “es liegt nichts an Sünde” ist sein Haupturtheil. Um “göttlich” zu werden, ist die Hauptsache, daß man sich satt hat: insofern ist sogar der Sünder besser denn als der Gerechte...
Sünde, Buße, Vergebung,—das gehört Alles nicht her ... das ist eingemischtes Judenthum, oder es ist heidnisch