Frühjahr 1888 15 [1-120]
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| Daß irgend Etwas geglaubt wird - - - | XVI |
Der Irrthum und die Unwissenheit sind verhängnißvoll.
Die Behauptung, daß die Wahrheit da sei und daß es ein Ende habe mit der Unwissenheit und dem Irrthum, ist eine der größten Verführungen, die es giebt.
Gesetzt, sie wird geglaubt, so ist damit der Wille zur Prüfung, Forschung, Vorsicht, Versuchung, lahm gelegt: er kann selbst als frevelhaft, nämlich als Zweifel an der Wahrheit gelten ...
Die “Wahrheit” ist folglich verhängnißvoller als der Irrthum und die Unwissenheit, weil sie die Kräfte unterbindet, mit denen an der Aufklärung und Erkenntniß gearbeitet wird.
Der Affekt der Faulheit nimmt jetzt Partei für die “Wahrheit”;
— “Denken ist eine Noth, ein Elend!”
insgleichen die Ordnung, die Regel, das Glück des Besitzes, der Stolz der Weisheit—die Eitelkeit in summa
— es ist bequemer, zu gehorchen als zu prüfen ... es ist schmeichelhafter, zu denken “ich habe die Wahrheit” als um sich herum nur Dunkel zu sehn ...
— vor allem: es beruhigt, es giebt Vertrauen, es erleichtert das Leben—es “verbessert” den Charakter, insofern es das Mißtrauen verringert ...
“der Frieden der Seele”, “die Ruhe des Gewissens” alles Erfindungen, die nur unter der Voraussetzung möglich sind, daß die Wahrheit da ist ...
“An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen” ... Die “Wahrheit” ist Wahrheit, denn sie macht die Menschen besser ...
... der Prozeß setzt sich fort: alles Gute, allen Erfolg der “Wahrheit” auf’s Conto zu setzen ...
Das ist der Beweis der Kraft: das Glück, die Zufriedenheit, der Wohlstand des Gemeinwesens und des Einzelnen werden nunmehr als Folge des Glaubens an die Moral verstanden ...
— die Umkehrung: der schlimme Erfolg ist aus dem Mangel an Glauben abzuleiten —