Frühjahr 1888 15 [1-120]
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Kritik der subjektiven Werthgefühle.
Das Gewissen. Ehemals schloß man: das Gewissen verwirft diese Handlung: folglich ist diese Handlung verwerflich. Thatsächlich verwirft das Gewissen eine Handlung, weil dieselbe lange verworfen worden ist. Es spricht bloß nach: es schafft keine Werthe.
Das, was ehedem dazu bestimmte, gewisse Handlungen zu verwerfen, war nicht das Gewissen: sondern die Einsicht (oder das Vorurtheil) hinsichtlich ihrer Folgen ...
Die Zustimmung des Gewissens, das Wohlgefühl des “Friedens mit sich” ist von gleichem Range als die Lust eines Künstlers an seinem Werke—sie beweist gar nichts ... Die Selbstzufriedenheit ist so wenig ein Werthmaß für das, worauf sie sich bezieht als ihr Mangel ein Gegenargument gegen den Werth einer Sache. Wir wissen bei weitem nicht genug, um den Werth unserer Handlungen messen zu können: es fehlt uns zu alledem die Möglichkeit, objektiv dazu zu stehn: auch wenn wir eine Handlung verwerfen, sind wir nicht Richter, sondern Partei ...
Die edlen Wallungen, als Begleiter von Handlungen, beweisen nichts für deren Werth: ein Künstler kann mit dem allerhöchsten Pathos des Zustandes eine Armseligkeit zur Welt bringen. Eher sollte man sagen, daß diese Wallungen verführerisch seien: sie locken unseren Blick, unsere Kraft ab von der Kritik, von der Vorsicht, von dem Verdacht, daß wir eine Dummheit machen ... sie machen uns dumm —