Frühjahr 1888 15 [1-120]
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Die Ursachen des Irrthums liegen ebensosehr im guten Willen des Menschen als im schlechten—: er verbirgt sich in tausend Fällen die Realität, er fälscht sie, um in seinem guten Willen nicht zu leiden
Gott z.B. als Lenker des menschlichen Schicksals: oder die Auslegung seines kleinen Geschicks, wie als ob Alles zum Heil der Seele geschickt und ausgedacht sei—dieser Mangel an “Philologie”, der einem feineren Intellekt als Unsauberkeit und Falschmünzerei gelten muß, wird durchschnittlich unter der Inspiration des guten Willens gemacht ...
Der gute Wille, die “edlen Gefühle”, die “hohen Zustände” sind in ihren Mitteln ebensolche Falschmünzer und Betrüger als die moralisch abgelehnten und egoistisch genannten Affekte, wie Liebe, Haß, Rache.
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Die Irrthümer sind das, was die Menschheit am kostspieligsten zu bezahlen hat: und, ins Große gerechnet, sind es die Irrthümer des “guten Willens”, die sie am tiefsten geschädigt haben. Der Wahn, der glücklich macht, ist verderblicher als der, welcher direkt schlimme Folgen hat: letzterer schärft, macht mißtrauisch, reinigt die Vernunft,—ersterer schläfert sie ein ...
die schönen Gefühle, die “erhabenen Wallungen”, gehören, physiologisch geredet, unter die narkotischen Mittel: ihr Mißbrauch hat ganz dieselbe Folge, wie der Mißbrauch eines anderen Opiums,—die Nervenschwäche ...