Frühjahr 1888 15 [1-120]
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XVIII
Wille zur Wahrheit.
Märtyrer
alles, was auf Ehrfurcht sich gründet, bedarf, um bekämpft zu werden, seitens der Angreifenden eine gewisse verwegene, rücksichtslose, selbst schamlose Gesinnung ... Erwägt man nun, daß die Menschheit seit Jahrtausenden nur Irrthümer als Wahrheiten geheiligt hat, daß sie selbst jede Kritik derselben als Zeichen der schlechten Gesinnung brandmarkte, so muß man mit Bedauern sich eingestehen, daß eine gute Anzahl Immoralitäten nöthig war, um die Initiative zum Angriff, will sagen zur Vernunft zu geben ... Daß diese Immoralisten sich selbst immer als “Märtyrer der Wahrheit” aufgespielt haben soll ihnen verziehen sein: die Wahrheit ist, daß nicht der Trieb zur Wahrheit, sondern die Auflösung, die frevelhafte Skepsis, die Lust des Abenteuers der Trieb war, aus dem sie negirten—Im anderen Falle sind es persönliche Rancunen, die sie ins Gebiet der Probleme treiben,—sie kämpfen gegen Probleme, um gegen Personen Recht zu behalten—Vor allem aber ist es die Rache, welche wissenschaftlich nutzbar geworden ist,—die Rache Unterdrückter, solcher, die durch die herrschenden Wahrheiten bei Seite gedrängt und selbst unterdrückt waren ...
Die Wahrheit, will sagen, die wissenschaftliche Methodik ist von solchen erfaßt und gefördert worden, die in ihr ein Werkzeug des Kampfes erriethen,—eine Waffe zur Vernichtung ... Um ihre Gegnerschaft zu Ehren zu bringen, brauchten sie im Übrigen einen Apparat nach Art derer, die sie angriffen:—sie affichirten den Begriff “Wahrheit” ganz so unbedingt, wie ihre Gegner,—sie wurden Fanatiker, zum Mindesten in der Attitüde, weil keine andere Attitüde ernst genommen wurde. Das Übrige that dann die Verfolgung, die Leidenschaft und Unsicherheit des Verfolgten,—der Haß wuchs und folglich nahm die Voraussetzung ab, um auf dem Boden der Wissenschaft zu bleiben. Sie wollten zuletzt allesammt auf eine eben so absurde Weise Recht haben, wie ihre Gegner ... Das Wort “Überzeugung”, “Glaube”, der Stolz des Märtyrerthums—das sind alles die ungünstigsten Zustände für die Erkenntniß. Die Gegner der Wahrheiten haben zuletzt die ganze subjektive Manier, um über Wahrheitzu entscheiden, nämlich mit Attitüden, Opfern, heroischen Entschließungen, von selbst wieder acceptirt,—d.h. die Herrschaft der antiwissenschaftlichen Methode verlängert.— als Märtyrer compromittirten sie ihre eigene That —