Herbst 1887 10 [101-206]
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Was ist am typischen Menschen mittelmäßig— Daß er nicht die Kehrseite der Dinge als nothwendig versteht: daß er die Übelstände bekämpft, wie als ob man ihrer entrathen könnte; daß er das Eine nicht mit dem Anderen hinnehmen will,—daß er den typischen Charakter eines Dinges, eines Zustandes, einer Zeit, einer Person verwischen und auslöschen möchte, indem er nur einen Theil ihrer Eigenschaften gutheißt und die anderen abschaffen möchte. Die “Wünschbarkeit” der Mittelmäßigen ist das, was von uns Anderen bekämpft wird: das Ideal gefaßt als etwas, an dem nichts Schädliches, Böses, Gefährliches, Fragwürdiges, Vernichtendes übrig bleiben soll. Unsere Einsicht ist die umgekehrte: daß mit jedem Wachsthum des Menschen auch seine Kehrseite wachsen muß, daß der höchste M[ensch], gesetzt daß ein solcher Begriff erlaubt ist, der Mensch wäre, welcher den Gegensatz-Charakter des Daseins am stärksten darstellte, vielmehr als dessen Glorie und einzige Rechtfertigung ... Die gewöhnlichen Menschen dürfen nur ein ganz kleines Eckchen und Winkelchen dieses Naturcharakters darstellen: sie gehen alsbald zu Grunde, wenn die Vielfachheit der Elemente und die Spannung der Gegensätze wächst d.h. die Vorbedingung für die Größe des Menschen. Daß der Mensch besser und böser werden muß, das ist meine Formel für diese Unvermeidlichkeit ...
Die Meisten stellen den Menschen als Stücke und Einzelheiten dar; erst wenn man sie zusammenrechnet, so kommt ein Mensch heraus. Ganze Zeiten, ganze Völker haben in diesem Sinne etwas Bruchstückhaftes; es gehört vielleicht zur Ökonomie der Menschen-Entwicklung, daß der Mensch sich stückweise entwickelt. Deshalb soll man durchaus nicht verkennen, daß es sich trotzdem nur um das Zustandekommen des synthetischen Menschen handelt, daß die niedrigen Menschen, die ungeheure Mehrzahl bloß Vorspiele und Einübungen sind, aus deren Zusammenspiel hier und da der ganze Mensch entsteht, der Meilenstein-Mensch, welcher anzeigt, wie weit bisher die Menschheit vorwärts gekommen. Sie geht nicht in Einem Striche vorwärts; oft geht der schon erreichte Typus wieder verloren ...
— — wir haben z.B. mit aller Anspannung von 3 Jahrhunderten noch nicht den Menschen der Renaissance wieder erreicht; und hinwiederum blieb der M[ensch] der R[enaissance] hinter dem antiken Menschen zurück ...
— — man muß einen Maaßstab haben: ich unterscheide den großen Stil; ich unterscheide Aktivität und Reaktivität; ich unterscheide die Überschüssigen Verschwenderischen und die Leidend-Leidenschaftlichen (—die “Idealisten”)