Herbst 1887 10 [101-206]
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[(268)] Was verdorben ist durch den Mißbrauch, den die Kirche damit getrieben hat:
1) die Askese: man hat kaum noch den Muth dazu, deren natürliche Nützlichkeit, deren Unentbehrlichkeit im Dienste der Willens-Erziehung ans Licht zu ziehen. Unsre absurde Erzieher-Welt (der der “brauchbare Staatsdiener” als regulirendes Schema vorschwebt) will mit “Unterricht,” mit Gehirn-Dressur auszukommen; ihr fehlt selbst der Begriff davon, daß etwas Anderes zuerst noth thut—Erziehung der Willenskraft; man legt Prüfungen für Alles ab, nur nicht für die Hauptsache: ob man wollen kann, ob man versprechen darf: der junge Mann wird fertig, ohne auch nur eine Frage, eine Neugierde für dieses oberste Werthproblem seiner Natur zu haben
2) das Fasten: in jedem Sinne, auch als Mittel, die feine Genußfähigkeit aller guten Dinge aufrechtzuerhalten (z.B. zeitweil[ig] nicht lesen; keine Musik mehr hören; nicht mehr liebenswürdig sein; man muß auch Fasttage für seine Tugend haben)
3) das “Kloster,” die zeitweilige Isolation mit strenger Abweisung z.B. der Briefe; eine Art tiefster Selbstbesinnung und Selbst-Wiederfindung, welche nicht den “Versuchungen” aus dem Wege gehen will, sondern den “Pflichten”: ein Heraustreten aus dem Cirkeltanz des milieu, ein Heraustreten aus der Tyrannei verderblicher kleiner Gewohnheiten und Regeln; ein Kampf gegen die Vergeudung unserer Kräfte in bloßen Reaktionen; ein Versuch, unserer Kraft Zeit zu geben, sich zu häufen, wieder spontan zu werden. Man sehe sich unsere Gelehrten aus der Nähe an: sie denken nur noch reaktiv d.h. sie müssen erst lesen, um zu denken
4) die Feste. Man muß sehr grob sein, um nicht die Gegenwart von Christen und christlichen Werthen als einen Druck zu empfinden unter dem jede eigentliche Feststimmung zum Teufel geht. Im Fest ist einbegriffen: Stolz, Übermuth, Ausgelassenheit; die Narrheit; der Hohn über alle Art Ernst und Biedermännerei; ein göttliches Jasagen zu sich aus animaler Fülle und Vollkommenheit—lauter Zustände, zu denen der Christ nicht ehrlich Ja sagen darf.
Das Fest ist Heidenthum par excellence.
5) die Muthlosigkeit vor der eignen Natur : die Kostümirung ins “Moralische” —
daß man keine Moral-Formel nöthig hat, um einen Affekt bei sich gutzuheißen
Maßstab, wie weit Einer zur Natur bei sich Jasagen kann,—wie viel oder wie wenig er zur Moral rekurriren muß ...
6) der Tod