Herbst 1887 10 [101-206]
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[(262)] Die “freie Ehe” ist ein Widersinn; die Erleichterung in der Ehescheidung ist [ein] Stück Wegs dahin: im Grunde nur als die gefährliche Folge davon, daß man beim Einrichten der Ehe den Individuen zu viel eingeräumt hat [und] die Gesellschaft immer mehr ihre Verantwortlichkeit für das Zustandekommen der Ehe hat fahren lassen.
Die Ehe: eine tüchtige, vorurtheilsfreie Zwangs-Einrichtung mit viel bon sens und ohne Sentimentalität ausgedacht; grob, viereckig, auf jene Durchschnitts-Natur[en] und natürlichen Bedürfnisse angelegt, auf welche alle Haupt-Institutionen berechnet sein sollen. Aber ich denke, es giebt keinen Grund, ihretwegen den Ehebruch mit einem abergläubischen Entsetzen zu betrachten. Im Gegentheil: man sollte dafür dankbar sein, daß es in Hinsicht auf die möglichste Dauer jener Institution ein natürliches Ventil giebt: damit sie nichts zum Platzen bringt. Eine gute Ehe verträgt überdieß eine kleine Ausnahme; es kann selbst die Probe für ihre Güte sein. Principiell geredet: so ist zwischen Ehebruch und Ehescheidung der Erstere — — —
Die Ehe ist das Stück Natur, welches von der Gesellschaft mit dem höchsten Werthe ausgezeichnet wird: denn sie selbst wächst aus der von ihr gepflegten und sicher gestellten Institution. Nichts ist bei [ihr] wenig[er] am Platz, als ein absurder Idealism: schon die zum Princip gemachte “Liebesheirath” ist ein solcher Idealism.
Die Verwandten sollen bei ihr mehr zu sagen haben als die berühmten “zwei Herzen.”
Aus der Liebe macht man keine Institution: man macht sie aus dem Geschlechtstrieb und anderen Natur-Trieben, welche durch die Ehe befriedigt werden.
Man sollte eben deshalb auch den Priester davonlassen: man entwürdigt die Natur in der Ehe, wenn man den geschworenen Antinaturalisten ermächtigt, etwas zum Segen der Ehe beitragen zu können—oder gar überhaupt ihn erst hineinlegen zu können.