Herbst 1887 10 [101-206]
10 [155]
(261) Es giebt heute auch einen Musiker-Pessimismus selbst noch unter Nicht-Musikern. Wer hat ihn nicht erlebt, wer hat ihm nicht geflucht—dem unseligen Jüngling, der sein Clavier bis zum Verzweiflungsschrei martert, der eigenhändig den Schlamm der düstersten graubraunsten Harmonien vor sich herwälzt? Damit ist man erkannt, als Pessimist ...— Ob man aber damit auch als musikalisch erkannt ist? Ich würde es nicht zu glauben wissen. Der Wagnerianer pur sang ist unmusikalisch; er unterliegt den Elementarkräften der Musik ungefähr wie das Weib dem Willen seines Hypnotiseurs unterliegt—und um dies zu können, darf er durch kein strenges und feines Gewissen in rebus musicis et musicantibus mißtrauisch gemacht sein. Ich sagte “ungefähr wie”—: aber vielleicht handelt es sich hier um mehr als ein Gleichniß. Man erwäge die Mittel zur Wirkung, deren sich Wagner mit Vorliebe bedient (—die er zu einem guten Theile sich erst hat erfinden müssen):—Wahl der Bewegungen, der Klangfarben seines Orchesters, das abscheuliche Ausweichen vor der Logik und Quadratur des Rhythmus, das Schleichende, Streichende, Geheimnißvolle, der Hysterismus seiner “unendlichen Melodie”:—sie ähneln in einer befremdlichen Weise den Mitteln, mit denen der Hypnotiseur es zur Wirkung bringt. Und ist der Zustand, in welchen zum Beispiel das Lohengrin-Vorspiel den Zuhörer und noch mehr die Zuhörerin versetzt, wesentlich verschieden von der somnambulischen Ekstase?— Ich hörte eine Italiänerin nach dem Anhören des genannten Vorspiels sagen, mit jenen hübschen verzückten Augen, auf welche sich die Wagnerianerin versteht: “come si dorme con questa musica!” —