Herbst 1887 10 [101-206]
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(235) | Wir “Objectiven.” |
Das ist nicht das “Mitleid,” was uns die Thore zu den fernsten und fremdesten Arten Sein und Cultur aufmacht; sondern unsere Zugänglichkeit und Unbefangenheit, welche gerade nicht “mit leidet,” sondern im Gegentheil sich bei hundert Dingen ergötzt, wo man ehedem litt (empört oder ergriffen war, oder feindselig und kalt blickte—) Das Leiden in allen Nüancen ist uns jetzt interessant: damit sind wir gewiß nicht die Mitleidigeren, selbst wenn der Anblick des Leidens uns durch und durch erschüttert und die Thräne bricht:—wir sind schlechterdings deshalb nicht hülfreicher gestimmt.
In diesem freiwilligen Anschauen-wollen von aller Art Noth und Vergehen sind wir stärker und kräftiger geworden, als es das 18. Jahrhundert war; es ist ein Beweis unseres Wachsthums an Kraft (—wir haben uns dem 17. und 16. Jahrhundert genähert ...) Aber es ist ein tiefes Mißverständniß, unsere “Romantik” als Beweis unserer “verschönerten Seele” aufzufassen ...
Wir wollen starke sensations, wie alle gröberen Zeiten und Volksschichten sie wollen ... Dies hat man wohl auseinander zu halten vom Bedürfniß der Nervenschwachen und décadents: bei denen ist das Bedürfniß nach Pfeffer da, selbst nach Grausamkeit ...
Wir Alle suchen Zustände, in denen die bürgerliche Moral nicht mehr mitredet, noch weniger die priesterliche (—wir haben bei jedem Buche, an dem etwas Pfarrer- und Theologenluft hängen geblieben ist, den Eindruck einer bemitleidenswerthen niaiserie und Armut ...) Die “gute Gesellschaft” ist die, wo im Grunde nichts interessirt, als was bei der bürgerlichen Gesellschaft verboten ist und üblen Ruf macht: ebenso steht es mit Büchern, mit Musik, mit Politik, mit der Schätzung des Weibes