Herbst 1887 10 [101-206]
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(288) “Die Moral um der Moral willen! ”—eine wichtige Stufe in ihrer Entnaturalisirung: sie erscheint selbst als letzter Werth. In dieser Phase hat sie die Religion mit sich durchdrungen: im Judenthum z.B. Und ebenso giebt es eine Phase, wo sie die Religion wieder von sich abtrennt, und wo ihr kein Gott “moralisch” genug ist: dann zieht sie das unpersönliche Ideal vor ... Das ist jetzt der Fall.
“Die Kunst um der Kunst willen”—das ist ein gleichgefährliches Princip: damit bringt man einen falschen Gegensatz in die Dinge,—es läuft auf eine Realitäts-Verleumdung (“Idealisirung” ins Häßliche) hinaus. Wenn man ein Ideal ablöst vom Wirklichen, so stößt man das Wirkliche hinab, man verarmt es, man verleumdet es. “Das Schöne um des Schönen willen,” “das Wahre um des Wahren willen,” “das Gute um des Guten willen”—das sind drei Formen des bösen Blicks für das Wirkliche.
— Kunst, Erkenntniß, Moral sind Mittel: statt die Absicht auf Steigerung des Lebens in ihnen zu erkennen, hat man sie zu einem Gegensatz des Lebens in Bezug gebracht, zu “Gott,” — gleichsam als Offenbarungen einer höheren Welt, die durch diese hie und da hindurchblickt ...
— “schön und häßlich,” “wahr und falsch,” “gut und böse”—diese Scheidungen und Antagonismen verrathen Daseins- und Steigerungs-Bedingungen, nicht vom Menschen überhaupt, sondern von irgendwelchen festen und dauerhaften Complexen, welche ihre Widersacher von sich abtrennen. Der Krieg, der damit geschaffen wird, ist das Wesentliche daran: als Mittel der Absonderung, die die Isolation verstärkt ...