Frühjahr 1888 14 [101-227]
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Wissenschaft und Philosophie
Wie weit die Verderbniß der Psychologen durch die Moral-Idiosynkrasie geht:
Niemand der alten Philosophen hat den Muth zur Theorie des “unfreien Willens” gehabt (das heißt zu einer die Moral negirenden Theorie)
Niemand hat den Muth gehabt, das Typische der Lust, jeder Art Lust (“Glück”) zu definiren als Gefühl der Macht: denn die Lust an der Macht galt als unmoralisch
Niemand hat den Muth gehabt, die Tugend als eine Folge der Unmoralität (eines Machtwillens) im Dienste der Gattung (oder der Rasse oder der Polis) zu begreifen (denn der Machtwille galt als Unmoralität, denn damit wäre erkannt worden, was die Wahrheit — — — daß Tugend nur [eine] Form der Unmoralität ist)
Es kommt in der ganzen Entwicklung der Moral keine Wahrheit vor: alle Begriffs-Elemente, mit denen gearbeitet wird, sind Fiktionen, alle Psychologica, an die man sich hält, sind Fälschungen; alle Formen der Logik, welche man in dies Reich der Lüge einschleppt, sind Sophismen. Was die Moral-Philosophen selbst auszeichnet: das ist die vollkommene Absenz jeder Sauberkeit, jeder Selbst-Zucht des Intellekts: sie halten “schöne Gefühle” für Argumente: ihr “geschwellter Busen” dünkt ihnen der Blasebalg der Gottheit ... Die Moral-Philosophie ist die scabreuse Partie in der Geschichte des Geistes.
Das erste große Beispiel: unter dem Namen der Moral, als Patronat der Moral ein unerhörter Unfug ausgeübt, thatsächlich eine décadence in jeder Hinsicht.