Frühjahr 1888 14 [101-227]
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Zur Erkenntnisstheorie: bloß empirisch:
Es giebt weder “Geist,” noch Vernunft, noch Denken, noch Bewußtsein, noch Seele, noch Wille, noch Wahrheit: alles Fiktionen, die unbrauchbar sind. Es handelt sich nicht um “Subjekt und Objekt” sondern um eine bestimmte Thierart, welche nur unter einer gewissen relativen Richtigkeit, vor allem Regelmäßigkeit ihrer Wahrnehmungen (so daß sie Erfahrung capitalisiren kann) gedeiht ...
Die Erkenntniß arbeitet als Werkzeug der Macht. So liegt es auf der Hand, daß sie wächst mit jedem Mehr von Macht ...
Sinn der “Erkenntniß”: hier ist, wie bei “gut” oder “schön,” der Begriff streng und eng anthropocentrisch und biologisch zu nehmen. Damit eine bestimmte Art sich erhält—und wächst in ihrer Macht—, muß sie in ihrer Conception der Realität so viel Berechenbares und Gleichbleibendes erfassen, daß darauf hin ein Schema ihres Verhaltens construirt werden kann. Die Nützlichkeit der Erhaltung, nicht irgend ein abstrakttheoretisches Bedürfniß, nicht betrogen zu werden, steht als Motiv hinter der Entwicklung der Erkenntnißorgane ... sie entwickeln sich so, daß ihre Beobachtung genügt, uns zu erhalten. Anders: das Maß des Erkennenwollens hängt ab von dem Maß des Wachsens des Willens zur Macht der Art: eine Art ergreift so viel Realität, um über sie Herr zu werden, um sie in Dienst zu nehmen.
der mechanistische Begriff der Bewegung ist bereits eine Übersetzung des Original-Vorgangs in die Zeichensprache von Auge und Getast.
der Begriff “Atom” die Unterscheidung zwischen einem “Sitz der treibenden Kraft und ihr selber” ist eine Zeichensprache aus unserer logisch-psychischen Welt her.
Es steht nicht in unserem Belieben, unser Ausdrucksmittel zu verändern: es ist möglich, zu begreifen, in wiefern es bloße Semiotik ist. [Vgl. Otto Liebmann, Gedanken und Thatsachen: philosophische Abhandlungen, Aphorismen und Studien. H. 1: Die Arten der Nothwendigkeit.— Die mechanische Naturerklärung.— Idee und Entelechie. Straßburg: Trübner, 1882:85-86.]
Die Forderung einer adäquaten Ausdrucksweise ist unsinnig: es liegt im Wesen einer Sprache, eines Ausdrucksmittels, eine bloße Relation auszudrücken ... Der Begriff “Wahrheit” ist widersinnig ... das ganze Reich von “wahr” “falsch” bezieht sich nur auf Relationen zwischen Wesen, nicht auf das “An sich” .. Unsinn: es giebt kein “Wesen an sich,” die Relationen constituiren erst Wesen, so wenig es eine “Erkenntniß an sich” geben kann ...